„Lotsinnen“ begleiten Frauen auf dem Weg aus häuslicher Gewalt

In Heidelberg fand mit einem Symposium das EU-geförderte Projekt GUIDE4YOU seinen Abschluss

8 Frauen
Leitmotiv des Projekts „GUIDE4YOU“ (Foto: Shutterstock)

Jede vierte Frau in Deutschland ist laut Angaben des Bundeskriminalamts mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Ein innovativer Meilenstein im bestehenden Schutzsystem der Stadt Heidelberg im Bereich häuslicher Gewalt ist „GUIDE4YOU“ – ein Projekt, das durch einen individuellen Begleitdienst über „Lotsinnen“ Frauen den Zugang zu den bestehenden Unterstützungsstrukturen erleichtern soll. Mit einem digitalen Symposium fand das von der Europäischen Union geförderte Projekt in Heidelberg am 30. September 2021 einen erfolgreichen Abschluss. Deutschlandweit schalteten sich über 300 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger online zu. Die Heidelberger Erkenntnisse aus dem zweijährigen Projektzeitraum fließen in eine Orientierungshilfe, mit der auch in anderen Kommunen und Landkreisen in Deutschland Zugänge zur Hilfe bei Gewalt erleichtert und nachhaltiger verfügbar gemacht werden können.

Deutschlandweite Herausforderung

„Von häuslicher Gewalt betroffene Frauen gut zu erreichen und nachhaltig in Unterstützungsstrukturen zu verankern stellt eine Herausforderung dar, die nicht nur uns in Heidelberg, sondern viele Kommunen und Landkreise deutschlandweit beschäftigt“, stellte Stefanie Jansen, Bürgermeisterin für Soziales, Bildung, Familie und Chancengleichheit der Stadt Heidelberg eingangs fest. Die Stadt Heidelberg setze sich seit Jahren gemeinsam mit vielen Partnerinnen und Partnern dafür ein, Gewalt gegen Frauen im öffentlichen und privaten Raum zu bekämpfen. GUIDE4YOU helfe, die existierenden Beratungs- und Hilfsstrukturen optimal nutzbar machen zu können. Denn trotz eines überdurchschnittlich gut ausgebauten Beratungssystems in Heidelberg fänden besonders in der Akutphase nach einem Übergriff immer wieder Frauen noch keinen Zugang zu der Hilfe, die sie benötigen.

Verbesserung der existierenden Beratungsstrukturen für Frauen nach häuslicher Gewalt

Unter der Leitung der kommunalen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten Dr. Marie-Luise Löffler der Stadt Heidelberg wurde das GUIDE4YOU-Projekt in den vergangenen zwei Jahren erfolgreich umgesetzt. Das Amt für Chancengleichheit kooperierte dabei mit der Gewaltambulanz und der Klinik für Allgemeine Psychiatrie des Universitätsklinikums Heidelberg, der Fakultät für Angewandte Psychologie der SRH Hochschule Heidelberg, der Polizei und der Interventionsstelle für Frauen und Kinder. Durch einen von der SRH Hochschule ausgewerteten anonymen Online-Fragebogen konnten wichtige Erkenntnisse von über 360 Frauen mit Gewalterfahrungen gewonnen werden. Dabei zeigte sich, dass trotz eines gut ausgebauten Beratungssystems in Heidelberg zahlreiche Frauen noch keinen ausreichenden Zugang zu der Hilfe haben, die sie benötigen. Scham, Angst, finanzielle Abhängigkeit und teilweise fehlendes Wissen über Unterstützungsstrukturen spielen dabei eine Rolle.

Eine GUIDE4YOU-Lotsin schilderte zudem im Rahmen der Veranstaltung eindrücklich, dass durch den Lotsenservice ein niedrigschwelliges Angebot für gewaltbetroffene Frauen in Heidelberg geschaffen werden konnte, was den Zugang zu den örtlichen Hilfsstrukturen stark erleichtert und diese für Betroffene nutzbarer macht. „In den letzten Monaten konnte die Lotsin – trotz der erschwerten Bedingungen im Corona-Lockdown – zahlreiche Frauen individuell begleiten und sie bei der Inanspruchnahme von Beratungs- und Hilfestellen unterstützen. Wir sind dem Ziel, so viele Frauen wie möglich auf ihrem Weg aus der Gewalt zu begleiten, somit einen Schritt nähergekommen“, sagt Dr. Marie-Luise Löffler.

Expertinnen zum Thema Istanbul-Konvention und häusliche Gewalt

Mit drei spannenden Fachvorträgen am Nachmittag wurden weitere wichtige Impulse zum Thema häusliche Gewalt gesetzt. Prof. Dr. Kathrin Yen, Leiterin der Gewaltambulanz des Universitätsklinikums Heidelberg, zeigte eindrücklich auf, welche zentrale Wichtigkeit die Beweissicherung nach häuslicher Gewalt für die Betroffenen hat. Mit dem Fachvortrag der Juristin Dr. Anne-Katrin Wolf wurde zudem aus strafrechtlicher Perspektive auf die Istanbul-Konvention – ein internationales Abkommen zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt – geblickt. Im Vortrag von Katharina Wulf, Geschäftsführerin des Landesverbandes Frauenberatung Schleswig-Holstein e.V., wurden praktische Umsetzungsmöglichkeiten der Konvention für Kommunen beleuchtet. In den offenen Diskussionsrunden fand ein reger Austausch statt, bei dem viele Fragen gestellt und diskutiert wurden.

Ergänzend: Die Stadt Heidelberg setzt sich dafür ein, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen (www.heidelberg.de/chancengleichheit). So wurden bereits zahlreiche Initiativen, Strukturen und Gremien – wie das Heidelberger Interventionsmodell, das Frauen-Nachttaxi oder der städtische Runde Tisch gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis – etabliert, um durch kontinuierliche Präventionsarbeit sowie Hilfe- und Schutzmaßnahmen für Betroffene gegen diese Gewalt vorzugehen. Mehr als 750.000 Euro werden von der Stadt für Präventionsmaßnahmen und helfende Projekte jedes Jahr ausgegeben.

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