Frauen sind heute schon ganz

anders. Mädchen auch?

"Frauen sind heute schon ganz anders. Mädchen auch? Männer sind immer (noch) gleich. Jungen auch?"
Dr. Edit Schlaffer, Gemeinsame Fachtagung des Staatlichen Schulamts und der Stadt Heidelberg am 12. November 2002

Dr. Edith Schlaffer (Foto: Stadt Heidelberg)

Überlegungen zu einer neuen Geschlechterpädagogik:
In diesem Referat geht es um die erdrutschartigen Verschiebungen im Geschlechterverhältnis. Im ersten Teil lassen wir die aktuellen Mädchen- und Jungenrealitäten Revuepassieren. Dann wird ein Kurrikulum zur Geschlechterkompetenz vorgestellt. Ein kurzer Streifzug durch die Wohnküchen der modernen Familien wirft ein Blitzlicht auf die tagtäglich realisierte Geschlechterkompetenz der männlichen und weiblichen Rollenmodelle.

Ein polemischer Einstieg:
Die Geschichte der Beziehung zwischen den Geschlechtern lässt sich auch lesen als Jahrhunderte langer Versuch der Männer, sich die Frauen vom Leib zu halten - aus Angst vor ihnen und aus Angst davor, von ihnen übertrumpft und dominiert zu werden.

Mädchen schlicht besser ...
Auch biographisch ist das dokumentierbar. In der Volksschule erlebt der durchschnittliche Junge die Mädchen schlicht als besser: als zivilisierter, konzentrierter, mit besseren Noten und dem innigeren Verhältnis zur Lehrerin. Während er mit seinen Freunden albern herumbalgt, rauft und streitet und rempelt, sind die Mädchen feinmotorisch emsig am Werk, schreiben in schöner Schrift gewissenhaft ihre Aufsätze und verzieren sie auch noch mit Buntstiftzeichnungen. Beim Völkerball kann man sie dann abknallen, aber so ganz befriedigend ist auch das nicht.

Früher löste sich das Problem wenigstens schnell.
Die emsige Schülern heiratete und blieb fortan daheim. Heute sind ganze Ausbildungszweige - und zwar auch solche, die noch vor wenigen Jahrzehnten gar keine Frauen zuließen - mehrheitlich in Frauenhand. Justiz. Medizin. Die meisten Ivy League Colleges, manche davon noch vor wenigen Jahren reine Männeruniversitäten, haben heuer einen deutlichen Frauenüberhang. Wie wirkt sich das auf Unterricht und Institution aus? In der Medizin bricht heute schon Panik aus unter Gynäkologen, die eine massive Abwanderung ihrer Patientinnen an Geschlechtsgenossinnen registrieren - es war schon Thema von Ärztekongressen, ob man nicht die freie Ärztewahl irgendwie blockieren kann, um diese Spezialisierung für interessierte Männer zu retten.

Koedukation - ein Nachteil für Jungen?
In den USA und teilweise auch in Europa werden unterdessen verstärkt männliche Pädagogenstimmen laut, die eine Aufhebung der Koedukation verlangen - damit die Defizite der Jungen besser berücksichtigt werden können und sie nicht ständig den peinlichen Kontrast mit den vifen Mädchen ertragen müssen.
Persönliche Anmerkung: Die Diskussion über die angeborene Brillanz des einen oder anderen Geschlechts kommt uns grundsätzlich verdächtig vor, auch wenn ausnahmsweise einmal wir mal in der gehobenen Position aufscheinen. Aber es ist interessant zu sehen, wie diese Experten argumentieren und was sie sich davon erhoffen.

Ein Blick in die internationale Fachliteratur
Aus der internationalen Fachliteratur beziehen wir die Erkenntnis, dass die Jahre zwischen 12 und 16 für den Identitätsbildungsprozess ganz entscheidend sind und einen klaren Wendepunkt darstellen. In dieser biographischen Phase entwickelt sich das weibliche Selbstbild und das spezifisch weibliche Verhalten der Mädchen besonders deutlich weiter. Die Entwicklung nimmt häufig keinen positiven Verlauf. Jüngere Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Adoleszenz Mädchen einen hohen Preis abverlangt. Ein diesbezügliches Projekt der Harvard Universität befragte Kinder der Volksschule und in der Adoleszenz nach ihrer Selbstzufriedenheit. In der Volksschule wiesen ein großer Anteil von Mädchen und Jungen einen hohen Grad an Selbstzufriedenheit auf. Im Alter von 16 hatte eine dramatische Veränderung stattgefunden. 50% der Jungen, aber nur noch 29% der Mädchen waren mit sich selbst im Lot.

Doppelt so viele Jungen wie Mädchen glauben daran, eine "besondere Begabung" in irgend einem Bereich zu besitzen
Eine präzisere Folgestudie der AAUW (American Association of University Women) erweiterte diese Einsicht. Doppelt so viele Jungen wie Mädchen glauben daran, eine "besondere Begabung" in irgend einem Bereich zu besitzen. Doppelt so viele Mädchen wie Jungen meinten, dass ihre beste persönliche Eigenschaft in irgendeinem Aspekt ihres körperlichen Aussehens lag. Jungen hatten wesentlich höhere Ziele und viel größeres Vertrauen darin, diese Ziele eines Tages erreichen zu können, fassen die Forscherinnen zusammen. (Elizabeth Debold/ Marie Wilson/ Idelisse Malave, Mother Daughter Revolution, N.Y. 1993).

Brown und Gilligan (Meeting at the Crossroads. Havard University Press 1996) verfolgten in ihrer Studie, die Mädchen in einer amerikanischen Schule untersuchte, den Prozess der Anpassung von Mädchen an die Erwartungen ihrer Umgebung. Sie beobachteten einen sehr subtilen, aber in der Summe massiven Prozess der Beeinflussung durch Mitschülerinnen, durch die "Mädchenkultur" der Zeitschriften, durch Lehrpersonen und durch das Elternhaus. Dieser Prozess wurde von den Mädchen als sehr zwingend erlebt und führte zu einer Angleichung der Mädchen an erwartete Verhaltensweisen; er ging einher mit der unterbewussten Verdeutlichung des erwarteten Lebensmusters. Das kann unter Umständen eine Reduzierung, eine Einschränkung bedeuten. Der Druck, "brav" und "nett" zu sein, nicht "zu" gescheit zu wirken, ist noch nicht verschwunden. Die Erkenntnis der Schäden, die das für die keimende Mädchenidentität bedeutet, hat zu einem erneuten Aufflackern der Koedukationsdiskussion geführt.

Ehe zwar nach wie vor Orientierungspunkt, aber ...
Waren die Reformen der geschlechtsspezifischen Sozialisation auch unvollständig, so hat sich in einem anderen Bereich ein dramatischer Wandel vollzogen. Die aktuelle Mädchengeneration muss notgedrungen ein anderes Ehe- und Familienbild vor Augen haben als frühere Generationen.
Wachsende Zahlen von Mädchen erleben eine alleinerziehende Mutter, eine Mutter vielleicht, die unter großen Schwierigkeiten mit den Konsequenzen einer Scheidung fertig wird. Für eine ständig wachsende Zahl von Mädchen ist, wie für ihre Brüder, der Vater nach der Scheidung eine Randfigur.
Die persönliche Schlussfolgerung, die Mädchen aus den Turbulenzen in der eigenen Herkunftsfamilie ziehen, ist bereits untersucht worden. Wiederum anders aber ist der Lerneffekt, wenn dieser Zustand generalisierbar wird, wenn ein Mädchen die Ehe zwar nach wie vor als Orientierungspunkt erlebt, ihr aber bei weitem weniger Sicherheit zuschreiben muss.

Wie gehen Mädchen damit um?
Planen sie ihr Leben gleichgewichtiger, unter stärkerer Betonung ihrer beruflichen Qualifikation, oder bewegen sie sich stärker in eine Romantisierung des Privatbereichs und fantasieren, dass ihnen das Schicksal einer Scheidung, die Zukunft einer Alleinerzieherin nicht widerfahren wird?
Vor allem versetzt dieser Sozialisationsschub, den Mädchen in der Adoleszenz erfahren, sie in ein stärkeres Spannungsverhältnis. Die Erwartungen der Peer Group sind nicht identisch mit den Erwartungen der Eltern in wesentlichen Bereichen wie Schulerfolg und Sexualverhalten. Die "Mädchenkultur" und das Umfeld können Mädchen zu Verhaltensweisen drängen, die ihnen widerstreben. Eltern könnten ein Gegengewicht sein, doch befinden sich die Mädchen gleichzeitig in einer Lebensphase, in der sie sich in unserer Kultur von den Eltern freimachen, wenn nicht sogar sich gegen sie "auflehnen" sollen. "In unserer Kultur wird erwartet, dass Mädchen sich gerade dann von ihren Eltern distanzieren, wenn sie deren Halt am dringendsten nötig hätten," merkt Mary Piper dazu an.

Das Mutter-Tochter Problem ist ein Problem der Nähe.
In einer Tochter erlebt die Mutter viele Situationen und Hoffnungen ihres eigenen Lebens zum zweiten Mal. Das macht aus ihre eine gute Ratgeberin, aber es erschwert die Distanz, die für eine gute Beziehung ebenfalls notwendig ist. Wir alle wollen unser eigenes Leben leben, unsere eigenen Fehler machen, und für Mütter ist es generell schwer, das zuzulassen. Bei einer Tochter fällt es ihnen noch schwerer, weil es mehr Situationen gibt, in der die Mutter sich mit ihrer Tochter identifiziert - zu recht oder zu unrecht.

Die zwei Hauptthemen sind Freiheit und Gefahr: die Tochter will Freiheit, und die Mutter fürchtet Gefahr.
Sie fürchtet, dass die Tochter in eine gefährliche Situation geraten könnte, sich mit einer falschen Entscheidung ihre Zukunft verbauen könnte, in schlechte Gesellschaft geraten könnte usw. Bei einem Sohn ist es im Prinzip nicht anders, nur gesteht die Welt insgesamt einem Buben zu, dass er gefährlicher, riskanter leben darf. Daher hat er meist mehr Freiheit. Und übrigens auch mehr Unfälle, mehr Verletzungen, mehr Schulprobleme, eine größere Anfälligkeit für Problemverhalten. Aber die Spannung zwischen einem Kind, das Sachen ausprobieren und Freiheit haben will, und den Eltern, die es schützen wollen, ist unvermeidbar.

Es gibt zwei Prinzipien, die sich sehr positiv auswirken. Zunächst einmal muss zwischen Eltern und Kindern klar und offen sein, dass es um Freiheit vs. Gefahr geht. Und nicht darum, dass man das Kind für dumm oder böse hält, ihm nicht vertraut, ihm keinen Spaß gönnt, einfach nur immer recht haben will usw. Zweitens muss man langsam darauf hinarbeiten - je nach Alter der Tochter - dass sie Warnungen und Ratschläge zumindest ernsthaft und ehrlich auf sich einwirken lässt und sie bedenkt, ihnen sozusagen eine Chance gibt, um danach alleine zu entscheiden. Das ist ein Prinzip, das ein Leben lang hilfreich sein kann - wobei es mit steigendem Alter des Kindes zunehmend auf Gegenseitigkeit beruhen sollte und die Mutter es genauso halten sollte mit den Ratschlägen, die sie von ihren Kindern erhält.

Zumindest zwischen 12 und 17 ist es kein Privileg, männlich zu sein. Mädchen werden längst schon anders und besser, Buben aber gedanken- und lieblos erzogen. Angefangen mit der Vorpubertät wird ihre Welt immer frostiger, und sie sollen sich darin ganz alleine zurechtfinden. Erwachsene, die ihnen helfen könnten, sehen weg - oder lassen sich einreden dass es viel besser ist, sich zurückzuhalten.

Die Erziehung der Mädchen hat sich enorm verändert. Mit Förderprogrammen werden die Defizite in ihrem traditionellen Rollenbild abgeschliffen. Sie werden z.B. ermutigt, sich für Mathematik und Computer und Technik zu interessieren. Sie reparieren Fahrräder, lernen Karate, und werden aufgefordert, sich auch einen Männerberuf zuzutrauen. Ihre Welt wird immer weiter. Die Defizite der Jungen bleiben unberührt, ihr Bewegungsbereich wird eher enger. Jungen sind in der Summe schlechter in Sprachen, tun sich schwerer mit der Interpretation zwischenmenschlicher Vorgänge.

Ihre Körper sind, HeilpädagogInnen wissen davon ein Lied zu singen, durch die klassischen männlichen Sportarten zwar schnell und stark, aber in der Regel extrem unterdehnt und inflexibel. Sehen Sie sich junge Männer in ihren Bewegungen einmal genauer an - wie die kleinen Tippkick Figuren aus Metall beherrschen sie einen eingeschränkten Bewegungsradius, sie können kicken, weit werfen und ausdauernd laufen, aber schon bei den Stretching-Übungen einer durchschnittlichen 50jährigen müssten sie sich geschlagen geben. Das erhöht die Verletzungsgefahr und hat Langfristkonsequenzen für die Gesundheit. Zumindest ansatzweise gibt es (wenn auch noch nicht genug) Sportprojekte für Mädchen, um diesen die Tore zu Fußball oder Basketball zu öffnen. Gymnastik für Jungen gibt es nur in Extremfällen auf Krankenschein.

Die Jungen stecken in ihren Klischees fest.
Statt zeitgerechter Pädagogik erhalten sie alte Parolen, die wenig Bedeutung und kaum noch Relevanz haben. Beispiel: Immer und immer wieder kann man irgendwo lesen, Buben bräuchten "männliche Rollenbilder"
Buben bräuchten "männliche Rollenbilder"?
Aha.
Und wofür genau brauchen sie die?
Und wie sollen sie aussehen, und wo soll man sie hernehmen, und wie in ihr Leben integrieren?

Ja, und was ist das überhaupt, ein männliches Rollenbild?
Der Ausdruck suggeriert, dass jeder x-beliebige Mann bereits ein männliches Rollenbild abgibt, weshalb sich ja die Alleinerziehenden peinigen sollen, weil sie ihren Söhnen ein solches nicht bieten können. Kann das aber wahr sein? Sollte dieser Mann nicht auch noch irgendwelche nachahmenswerten Eigenschaften haben, oder reicht es wirklich, dass er im Hallenbad nicht den linken sondern den rechten Gruppenumkleideraum betritt? Und welche Aufgabe, genau, fällt diesem männlichen Rollenbild zu? Von welchen Arbeitsleistungen im Büro, welchen Funktionen im Haushalt, welchen Rollen in der Gesellschaft, wünschen wir uns für das dritte Jahrtausend, dass sie von Männern prinzipiell ganz anders ausgeübt werden als von Frauen, weswegen ein Sohn sie nur von einem Mann erlernen kann?

Kurzer ethnologischer Streifzug
In der stark geschlechtergetrennten arabischen Welt verblieben Kinder in ihren frühen Jugendjahren in der Frauengruppe, bei der Mutter. Mit sieben Jahren kam ein Junge dann zu den Männern, seine Schwester blieb bei der Mutter, bis sie mit 12 oder 13 verheiratet wurde. In ländlichen Gegenden und traditionelleren islamischen Gesellschaften ist das auch heute noch so.

In Stammeskulturen wurden die Knaben schon früh in die Männergruppe aufgenommen, um Jagen und Kriegsführen zu lernen. Um ihre Dazugehörigkeit zu untermauern, gab es diverse Initiationsriten, bei denen ihnen Narben geschnitten, Markierungen eingebrannt oder Zähne ausgeschlagen wurden.

Nach diesem kurzen ethnologischen Streifzug verlassen wir nun gedanklich wieder das schöne Afghanistan, verabschieden uns auch von den ! Kung und kehren heim ins Saarland oder nach Baden-Württemberg. Um dort einer merkwürdigen Idee zu begegnen, die weder in die Landschaft noch zum Kalender (Guten Morgen! 2003!) passt.

Die Idee lautet: Männliche Jugendliche brauchen ein männliches Rollenbild.
Auch im aufgeklärten westlichen Geschlechter-Kosmos werden nach wie vor präzise diese Ideen vertreten. Spätestens gegenüber einem Teenager müsste die Mutter sich gänzlich aus der Erziehung zurückziehen. Männliche Jugendgruppen könnten nur von männlichen Betreuern geleitet werden usw. Diesen Glaubensgrundsatz konnten sie mit tiefer Inbrunst oft wiederholen, nur eines konnten sie leider nicht: Ihn inhaltlich begründen.

Jugendliche brauchen ein männliches Rollenbild!?
Was genau ist bitte ein "männliches Rollenbild"? Für welche zukünftigen Lebenssituationen ist es erforderlich? Und wenn nun zum Beispiel Sie heute Nachmittag eröffnet bekämen, dass Sie ab nun als männliches Rollenbild für eine Gruppe von 10 Jugendlichen in der Hauptschule nebenan fungieren sollen, was, genau, würden sie dann tun?

Aus unseren Studien in Familien und Schulen wissen wir, wie viel Schaden dieser inhaltsleere Auftrag anrichtet. Aus Angst, ihren Sohn in ein Muttersöhnchen zu verwandeln, ziehen die Mütter gerade dann ihre Zuwendung zurück, wenn ihr Sohn in die ganz besonders labile Übergangsphase vom Kind zum Erwachsenen eintritt und ein Maximum an Stabilität und Stützung bräuchte. Die Väter derweilen wären als liebevoller Elternteil dringend gefragt, und könnten so manche Identitätskrise ihrer Söhne mit humorvollen Erzählungen über die Tücken des eigenen Erwachsenenwerdens, der eigenen Schulkrisen und Freundschaften und ersten Liebesempfindungen verständnisvoll zurechtrücken. Statt dessen erinnern sie sich an den Befehl, ein "männliches Rollenmodell" zu sein, und besinnen sich irgendwelcher banaler Parolen. "Das schaffst du schon." "Na dann mach mal." "Du wirst doch nicht etwa Angst haben." (Doch.)

Ein "männliches Rollenbild" - und nur Klischees ...
Ein "männliches Rollenbild" - den meisten Männern fallen zu diesem Auftrag nur Klischees ein - und kein Wunder, denn der Auftrag ist selber ein Klischee. Sie gehen dann mit den Jungen auf den Bolzplatz oder zur Kletterwand, evtl. übernachten sie in einem Wald. Auf welche zukünftige männliche Lebenssituation haben sie ihre Schützlinge damit vorbereitet? Und was haben sie ihnen mitgegeben, was ihnen nicht sowieso schon und sehr zu ihrem Schaden aus beiden Ohren quillt, nämlich die Botschaft, dass nur derjenige ein richtiger Mann ist, der sportlich, toll, cool und hart ist. In der so genannten "Mädchenarbeit" in Schulen und Jugendbetreuung geht es darum, die Defizite in der Erziehung und Sozialisation von Mädchen aufzuarbeiten. D.h. man macht mit den Mädchen diejenigen Dinge, und bringt ihnen jene Fertigkeiten bei, die nicht zur klassischen Mädchenrolle gehören.

"Moderne Jugendarbeit" = "moderne Jungenarbeit?
Die Mädchen reparieren Fahrräder, programmieren Computer, spielen Fußball - Dinge, die sie sich sonst nicht trauen oder zutrauen - und erweitern damit ihren Horizont.Wenn wir die Mädchenarbeit so aufbauen würden wie die Jungenarbeit, dann würden wir mit den Mädchen häkeln, sticken, Lippenstiftfarben vergleichen, einen viktorianischen Schwächeanfall nachstellen und mit Riechsalz wiederbelebt werden - und es gäbe einen Aufstand im Elternverein, und alle Welt würde sich fragen, ob wir den Verstand verloren haben. Aber mit den Jungen können wir nostalgisch das Jahr 1956 nachempfinden, oder auch ein bisschen Afghanistan spielen, und das läuft unter "moderner Jugendarbeit".

Die sogenannten "richtigen Jungs" sind eine Minderheit
Jungen sind im Schnitt gar nicht so, wie ihr Ruf es will. Die sogenannten "richtigen Jungs" sind eine Minderheit, aber eine mit verhängnisvoller Wirkung. Sie geben den Ton an, terrorisieren die anderen und gelten zu Unrecht als die Norm. Ihre Erzieher haben zu ihnen oft ein widersprüchliches Verhältnis: Sie stören den Unterricht, machen Probleme, erhalten aber überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit und zum Teil sogar Verbrüderung von Seiten der Lehrer. Nicht selten geschieht das, weil die Lehrer Angst vor ihnen haben. Meist dürfen sie mit stillschweigender Duldung der Lehrer die schwächeren Jungen malträtieren, sich selber in Szene setzen und den Ton angeben. Eingeschüchtert durch das Wissen, dass ihnen im Konfliktfall niemand zur Seite stehen wird, ordnen die anderen Jungen sich diesen Bullies unter oder werden zu Mitläufern - übrigens auch eine katastrophale politische Grunderziehung.

Mütter sind in der Pubertät so wichtig wie sonst nur in der Kleinkindzeit -
als Gesprächspartnerinnen, emotionale Stütze und zur Rückendeckung. Es handelt sich um eine Lebensphase, in der alles in Aufwühlung ist, das Kind mit neuen und ungewohnten Situationen und Gefahren konfrontiert ist, und bei behutsamer Betreuung befähigt werden sollte, allmählich eine immer größere Selbständigkeit und Standsicherheit zu erwerben. Diese Phase ist, natürlich bei weitaus höherem Komplexitätsgrad, vergleichbar mit dem Alter des Gehen-Lernens und Sprechen-Lernens, eine Zeit des intensiven Erwerbs neuer Fähigkeiten, in der das Kind ein vorsichtig dosiertes Auffangen und Korrigieren braucht. Eltern sind in dieser Phase in mancher Hinsicht sogar wichtiger als in den Jahren unmittelbar davor. Und Mütter können besonders hilfreich sein. Väter fühlen sich oftmals aufgefordert zu Durchhalteparolen aber auch zu einer für das pubertierende Ego fatalen Kritik, während mütterliche Fürsorglichkeit wohltuender ist und mütterliche Grenzsetzung vom Jugendlichen augenrollend als Betulichkeit ertragen werden kann, während väterliche Grenzsetzung den Machtkampf heraufbeschwört.

Mütter werden aber aus dem Leben ihrer Söhne hinausgedrängt oder dazu gebracht, sich freiwillig zurückzuziehen durch das pädagogische Märchen, man würde andernfalls verweichlichte Muttersöhnchen produzieren. Das stimmt schlicht und einfach nicht. Wahr ist, wie auch aus den Forschungen des amerikanischen Psychologen und Jungen-Experten Pollack hervorgeht, das genaue Gegenteil. Je mehr Stärkung und Streicheleinheiten der Jugendliche zuhause bekommt, desto kräftiger wird er.

Die Erfolgskurve junger Männer zeigt gesamtgesellschaftlich in mancher Hinsicht nach unten. Jungen haben weniger Schulerfolg und weniger Studienerfolg, dafür viel mehr soziale und gesundheitliche Probleme als Mädchen. Noch können Männer darauf bauen, dass ihr gesellschaftlicher Vorsprung sie trotzdem trägt, dass sie unabhängig von der Leistung bessere Chancen haben, besser behandelt, schneller befördert, höher bezahlt usw. werden als ihre fleißigen, kommunikativen, kooperativen, qualifizierten und überqualifizierten, jedoch weiblichen Rivalinnen. Aber das wird längerfristig vermutlich nicht so bleiben - irgendwann zählt die Leistung, und Vorrechte auf sentimentaler Basis fallen der Marktwirtschaft zum Opfer.
Europa ist eine Hochkultur, eine Zivilisation. Aber die männliche Jugend scheidet kulturell zunehmend aus. Musik, Kunst, Ästhetik, und sogar die alltäglicheren Kulturleistungen wie Lesen und Schreiben gelten den Jungen zunehmend als absolut unmännlich. Früher machte das weniger aus. Irgendwann wuchsen Männer dann trotzdem in diese Kultur hinein und übernahmen darin leitende Funktionen, allein schon aus dem einfachen Grund, dass sie den Frauen versperrt war (siehe Wiener Philharmoniker).

Ästhetik ist für Jungen zum Tabu geworden
Heute ist das anders. Männer können nicht damit rechnen, dass man ihnen trotz Desinteresse die Plätze hält. Ästhetik ist für Jungen zum Tabu geworden. Schönheit in jeder nur erdenklichen Variante ist einem Jungen verboten. Schularbeiten, die er abgibt, müssen schluderig hingeschmiert sein, die Buchstaben zackig, bar jeder Illustration oder Verzierung. Nur obszöne Bemerkungen, an den Rand gekritzelt, sind OK. Derweilen üben Mädchen verschiedene Handschriftenstile, malen Zierleisten, illustrieren ihre Referate mit Computerzeichenprogrammen, unterstreichen die Überschrift mit Buntstiften, schreiben Gedichte, malen Selbstporträts. Bunt, schön, ordentlich, nachdenklich, bemüht - diese Begriffe sind für Mädchen reserviert. Für Jungen ist der Zutritt verboten - grau, schwarz, fleckig, lieblos, hässlich - das gilt als passend für Jungmännlichkeit. Es reflektiert sich mittlerweile auch in der Kunst. Aber ob sich die schwarz-in-schwarze bad-boy Skaterkultur, die hier und da als aktueller männlicher ästhetischer Gegenentwurf kultiviert wird, gesamtgesellschaftlich wird etablieren können, ist fraglich.

Der Realitätssinn und das "Herz" von Jungen werden in der zeitgenössischen Knabenerziehung systematisch zerstört. Als Idole bietet man ihnen eiskalte Killer im Kino und technisch clevere Massenmörder im Videospiel. Der angestrebte Habitus: gleichgültig, cool. Wenn Sie wissen wollen, welche Richtung unsere Männerkultur in wenigen Jahrzehnten genommen hat, lesen Sie Mark Twain oder Erich Kästner. Junge Männer mit redlichen Werten, einem hilfreichen Wesen und Fantasie, wie sie solche Klassiker noch bevölkerten, würden heute als komplett lächerlich gelten.
Die sogenannte Jungenarbeit übernimmt diese Devise unkritisch. Während Mädchengruppen sich in liebevoll eingerichteten Räumen auf kuscheligen Sitzecken zusammenfinden, ist Jungenarbeit von Kargheit gezeichnet. Ach was, die brauchen doch keinen Raum, die können sich doch im Turnsaal treffen. Die brauchen keine Stühle und schon gar keine Sofas, die können doch auf dem Boden sitzen. Und weil sie ja so störrisch sind, braucht man gar nicht erst versuchen, mit ihnen zu sprechen. Besser, man organisiert ein Match; vielleicht knurrt der eine oder andere dann während der Halbzeit eine persönliche Offenbarung heraus.

Sicherheit liegt in der Anpassung
Diese Entwicklungen gehen nicht von den Jungen selber aus; die Jungen leiden darunter, sehen aber keinen Ausweg. Die Sicherheit liegt in der Anpassung. Dass der aktuelle Heldenentwurf nicht der Selbstwahrnehmung von Jungen entspricht und ihre Bedürfnisse nicht befriedigt, zeigt ein zweiter Blick auf ihre Präferenzen. Mühsam, rührend, flicken sie sich aus dem kargen Angebot ein bisschen kindliche Weichheit, ein bisschen Herz zurecht. Der phänomenale internationale Erfolg von Harry Potter etwa beweist, dass es eben sehr viele Jungen der Stilrichtung "schmaler, nachdenklicher Brillenträger" gibt. Und die klammern sich an eine Identifikationsfigur, die mal eben kein muskulöser, furchtloser Rowdy ist. Potter genügt dem Männerkodex gerade noch, weil er zwar keine Muskeln, dafür aber magische Kräfte hat - eine wunderbare Identifikationsfigur für Jungen, die ihm im ersten Punkt gleichen und sich nun der Fantasie hingeben dürfen, es ihm auch im zweiten Punkt nachzutun.
Pokemon und Pikachu
Unter diesem Aspekt erklärt sich auch die Leidenschaft der Jungen für das lästige, teure, allgegenwärtige Pokemon. Für viele Jungen sind diese knallbunten, süßen Figuren, in Wirklichkeit Kuscheltiere mit piepsigen Babystimmen, der einzige gestattete Farbtupfer in ihrem Leben, das einzige bunte, lustige Ding, zu dem sie sich öffentlich bekennen dürfen. Selbst ein harter Junge darf das, weil er sie ja theoretisch nur hätschelt, um sie danach umso besser in den Kampf schicken zu können (und wie finden Sie diese pädagogische Botschaft: was wir lieben, schicken wir in die Schlacht?) Beobachten Sie einen toughen 10jährigen, der sich über das Glucksen des dottergelben Pikachu freut, und Sie wissen, dass hier der Grundstein für eine tiefe emotionale Schizophrenie gelegt wird.

Im Alter von 25 oder 30 ist der Spuk vorbei.
Dann darf (soll!) der Mann ein sensibler Liebhaber, guter Ehemann, netter Vater, freundlicher Kollege, vielseitiger Kulturbürger sein. Er darf Briefmarken sammeln, ins Theater gehen, Gedichte schreiben, Babys mögen. Doch den Erziehungsschrott der vorangegangenen Jahre schüttelt er nicht so leicht ab.
Geschlechterkompetenz kann gelernt werden
Nicht nur die Peer Gruppe, auch die konflikthaften Wertsströmungen innerhalb der Gesellschaft stellen für die Jugendlichen eine potentielle Gefährdung dar. Bei Mädchen gehört das in der Werbung verbreitete Schönheitsideal dazu, dass bei vielen zu Komplexen und Essstörungen u.ä. führt. (siehe hierzu besonders Lyn Brown, Carol Gilligan: Die verlorene Stimme. Wendepunkte in der Entwicklung von Mädchen und Frauen.Köln. 1997.)

Bei Jungen ist der Zwang zu einem demonstrativ souveränen Verhalten zu nennen, und der Druck nach Anpassung an die Unabhängigkeits- und Protestrituale der jeweiligen Peer Gruppe, zu denen Rauchen, Raufen, Trinken u.ä. zählen können. Sehr viele unmittelbare Konflikte, falsche Lebensentscheidungen und später störende Verhaltensweisen entstehen in dieser Zeit. (siehe hierzu die neue Untersuchung von William Pollock. Real Boys. N.Y. 1998.) Diese Erkenntnis inspirierte die Gründung von adoleszenzbegleitenden Maßnahmen, die in der Schule und der Jugendarbeit zum Tragen kommen.

Für Mädchen gibt es aber weitaus mehr und bessere diesbezügliche Programme als für Buben. Das ist erstens den Buben gegenüber unfair und zweitens gefährdet es den Erfolg der Mädchenprogramme, da ein dermaßen ungleichgewichtige Entwicklung kein gutes Zusammenleben verspricht.

Schwerer ist es schon, Betreuer für die Programme zu finden
Buben sind durchaus bereit, an diesbezüglichen Programmen teilzunehmen, und offen für die Inhalte. Schwerer ist es schon, Betreuer für die Programme zu finden. Hier wiederum liegt das hauptsächliche Hindernis darin, dass manche Männer zwar die Zeit und das Interesse aufbringen würden, sich dieser Aufgabe aber inhaltlich nicht gewachsen fühlen. In Schnellsiedekursen werden diese Rekruten meist mit den Grundsätzen der männlichen Identitätsbildung vertraut gemacht und in die Lage versetzt, ihre eigenen Biographie diesbezüglich zu reflektieren. Für die Gestaltung und Beschäftigung ihrer Bubengruppe wird ihnen aber zu wenig mitgegeben, und daran scheitert meist ihre Arbeit. Ihre Ressourcen beschränken sich auf: ein paar gruppendynamische Übungen (Sesselkreis), ein paar traditionelle Bubenaktivitäten (Zelten gehen, Fußball spielen) und Debatten mit der Mädchengruppe. Was fehlt, ist eine ganz praktische Grundlage von Ideen, Übungen, Inhalten, Abläufen, die dann nach Wunsch angewandt und modifiziert werden können.

Hintergrund
In den Jahren der Adoleszenz ist der junge Mensch besonders empfänglich für identitätsbildende soziale Botschaften, Er/Sie befindet in Ablösung vom Elternhaus, auf der Suche nach einer eigenen Identität und nach einem Platz in der Gemeinschaft. Aus physiologischen, psychologischen und sozialen Gründen ist diese Zeit für viele junge Leute ein Abschnitt größerer Turbulenzen und persönlicher Veränderung.
Tiefgreifende aber noch lange nicht abgeschlossene Umschichtungen in den sozialen Werten bezüglich der Geschlechterrollen, der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und dem Zusammenleben in der Öffentlichkeit und der Familie setzten junge Leute mehr Entscheidungssituationen und einer anderen Art von sozialem Druck aus, als dies früher der Fall war. Traditionelle Wertsysteme, mit diesen nicht unbedingt konform gehende reale Lebenssituationen und neue Zielvorstellungen können zu Interpretations- und Verhaltensdilemmas führen.

Die männliche Adoleszenz ist krisenhaft entlang dem Gesamtspektrum, von alltäglichen psychischen Belastungen bis hin zu einem Ausagieren der Konflikte in Jugendbanden, Jugendkriminalität und Suchtverhalten.
Im erwachsenen Leben von Männern machen sich die Defizite, die in diesen Jahren erworben werden, ferner bemerkbar durch Partnerschaftsprobleme, Probleme der Selbst- und Aggressionskontrolle und andere zwischenmenschliche und sexuelle Störungen.
Die männliche Adoleszenz wird dennoch, wie ein großangelegtes Forschungsprojekt der Carnegie Stiftung bestätigt, deutlich weniger diskutiert als die weibliche. "Körperliche Veränderungen während der männlichen Pubertät und die damit einhergehenden Gefühle erhalten fast keine Beachtung", folgerte eine Studie. (S. Feldmann, G. Elliot. At the Tresorhold. The developing Adolescent. Cambridge. 1990. S. 50).

Alle, die mit Jugendlichen arbeiten, kennen die Probleme, wenn die Adoleszenz sich unreguliert innerhalb der Peer Group entfaltet: Unreflektierte und unkanalisierte Profilierungsbedürfnisse, Dominanzkämpfe, Hierarchiebildungen und sexuelle Empfindungen können, sobald eine Gruppe zu beeindrucken, Ausgrenzung zu vermeiden, gruppeninterne Tyrannen zu befriedigen sind usw., verheerende Wirkung nehmen. Auch die subtilen Effekte wirken nach.
Stützende, präventive Begleitprogramme für Mädchen sind in Schulen und der kommunalen und kirchlichen Jugendarbeit mittlerweile schon sehr verbreitet. Weitaus spärlicher ist das Angebot für Buben.

Die strukturgegebene Initialzündung fehlt
Aus Gründen, die in unserer vorangegangenen Untersuchung über männliche Jugendliche angeführt sind, gestaltet sich die Durchführung dieses Angebotes inhaltlich und organisatorisch problematischer als bei den Mädchen. Die Programme scheinen willkürlicher, traditioneller, unstrukturierter. Währen es den Betreuern der Mädchenprogramme oft ein dringliches persönliches Anliegen ist, solche Gruppen zu installieren, ist der typische Betreuer einer Bubengruppe oftmals zögerlich, hat sich anwerben lassen, damit das Programm nicht überhaupt ins Wasser fällt, ist wohl interessiert, aber ist auf Materialien, Vorgaben und Ausbildungen angewiesen, die dann nicht vorhanden sind. Wie unsere Analyse bestehender Bubengruppen zeigte, führt das nicht selten zu einem ziellosen, letztlich kontraproduktivem Zusammensein ohne echte Linie und Zielvorstellung. Es mangelt weder an Willen, noch am Konsens über die Sinnhaftigkeit. Es gibt Praktiker und potentielle Praktiker, nur die strukturgegebene Initialzündung fehlt.

Die Schule ist mit den resultierenden Problemen konfrontiert, ob sie es will oder nicht!
Vielerorts versuchen LehrerInnen, relevante Inhalte in den Unterricht einzubauen. Für diese interessierten Schulen und Lehrkräfte ist das beigelegte Kurrikulum gedacht. Es beinhaltet alle Unterlagen die Sie brauchen, um ein erstes, fundiertes Gender-Programm in Ihrer Schule durchzuführen.

Mit dem folgenden, von der Ludwig-Boltzmann-Forschungsstelle für Politik und zwischenmenschliche Beziehungen in Wien entwickelten Programm, kann ein vollwertiger Schwerpunkt zum Thema Pubertät und Geschlechtsrollen ins Leben gerufen werden.
Einzelne Elemente können auch selbständig verwendet werden. Der Schwerpunkt Konfliktumgang etwa kann durchaus eingesetzt werden, falls in einer Klasse akut Probleme auftauchen oder falls eine Lehrkraft vorbeugend die Fertigkeiten des zivilisierten Konfliktumgangs vermitteln und einüben möchte.

Es werden insgesamt acht Schwerpunkte bearbeitet:

Eins
Wer bin ich, wie bin ich?
Hier geht es um Fragen der Identität und Orientierung, mit dem Ziel, spielerisch Struktur in die verschiedenen aufwühlenden Bereiche der Selbsteinschätzung und Bewertung von FreundInnen und MitschülerInnen zu bringen.
Zentrale Fragestellung: Wer bin ich in der Gruppe? Wie definiere ich mich?

Zwei
Freundschaften / Liebe
Freundschaften gehören zum wichtigsten Aspekt des Teenageralltags und sind gleichzeitig Terrain für Verletzungen, Zurücksetzungen, Imponiergehabe und Beziehungsterror. Für Mädchen und Buben gelten dabei ganz unterschiedliche Gesetze. Die Mechanismen von Freundschaft sollen thematisiert werden.
Zentrale Fragestellung: Wie befreundet man sich mit jemandem? Mit wem möchte man gern befreundet sein? Was sind die (meist unausgesprochenen) Regeln in einer Freundschaft?

Der in dieser Altersgruppe brisantesten Emotion wird ein eigener Schwerpunkt gewidmet. Damit soll vor allem erreicht werden, dass der Umgang mit dem anderen Geschlecht in rationale Bahnen gelenkt wird - anders, als dies zum Beispiel in den populären Jugendzeitschriften vorgezeigt wird.
Zentrale Fragestellungen: Was möchte ich von mir und meinen Standpunkten nicht aufgeben? Welche Formen von Druck empfinde ich, Dinge zu tun die ich eigentlich nicht möchte, und wie kann ich in solchen Situationen reagieren? Wie löst man sich aus emotionalen Verstrickungen?

Drei
Gefühle benennen und zeigen
Die emotionale Ebene von Interaktionen erkennen, die eigenen Emotionen kennen und damit umgehen können, ist eine wichtige Voraussetzung für Kooperation und Harmonie. Die Affekt-Komponente zwischenmenschlicher Beziehungen in Schul-, Arbeits- und Privatleben soll verständlich gemacht werden. Insbesondere sollen Techniken erlernt werden, um den Umgang mit Gefühlen in Konfliktsituationen zu managen.
Zentrale Fragestellung: Wie ordne ich meine Gefühle ein, und wie gehe ich damit um?
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Vier
Psychologie der Erwachsenen
Typische Missverständnisse und Konflikte zwischen den Generationen sind das Thema dieses Schwerpunkts. Was sind häufige Krisenursachen mit LehrerInnen, Eltern und sonstigen Erwachsenen? Worum geht es dabei? Wie kann man seine Wünsche und Interessen besser formulieren, um die Erwachsenen nicht sofort in Abwehrpositionen zu versetzen? Der Nebeneffekt: Bessere Kommunikationstechniken werden erlernt und es wird die Erkenntnis gefördert, dass grundsätzlich alles kooperativ ausgehandelt werden soll.
Zentrale Fragestellung: Wie kann ich mich in andere hineindenken und ihren Standpunkt berücksichtigen? Wie teile ich mich mit?

Fünf
Lebensstrategien / -planung
Selbst junge Erwachsene haben oft keinen Plan, sondern lassen sich in ihrer Lebensgestaltung von Zufälligkeiten treiben, die dann notgedrungen sehr von geschlechtsspezifischen Klischees geprägt sind. Besser: Ziele und eine Idee davon, wie diese Ziele verwirklicht werden können. In diesem Schwerpunkt geht es um die Selbsteinschätzung, das Setzen von Prioritäten und das Entwickeln von Durchhaltestrategien. Besonders wichtig ist es, über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nachzudenken, da dies in späteren Jahren oft der Stolperstein für geglückte Beziehungen ist.
Zentrale Fragestellung: Wie erkenne ich meine persönlichen Ziele? Wie geschieht sinnvolle Planung?

Sechs
Körperwahrnehmung
Dieses Thema hat zwei Schwerpunkte. Erstens geht es um Stil und Selbstdarstellung, Fragen, die junge Leute in dieser Altersphase sehr bewegen.
Zweitens geht es um die Wahrnehmung des eigenen Körpers, um alternative Einstellungen zu Sport, Bewegung und Wettbewerb. Mädchen sollen mehr Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung erhalten; Jungen eine weniger gleichgültige Einstellung zu sportlichen Verletzungen gewinnen; beide die jeweiligen Vorzüge von Wettbewerb und von nicht-kompetitiver sportlicher Betätigung erkennen.
Zentrale Fragestellungen: Was ist mein persönlicher Stil? Was steckt alles in mir drin?

Sieben
Konfliktumgang
Sehr oft wird das Fehlen einer Streit- und Diskussionskultur bedauert. Doch auch das muss gelernt sein. Wie sage ich das, was ich sagen möchte? Was habe ich durch meine Stimme, Körperhaltung, Formulierungen etc. ungewollt noch alles dazugesagt? Wie komme ich bei meinem Gegenüber an?
Wichtig sind auch hier geschlechtsspezifische Unterschiede. Mädchen und Jungen haben jeweils eigene Strategien, die ihre jeweiligen Vor- und Nachteile haben.
Zentrale Fragestellung: Wie erkenne ich die beste Methode, um mich durchzusetzen? Habe ich die Umstände, die alternativen Möglichkeiten berücksichtigt?

Exkurs zum Kurrikulum: Fallbeispiel Liebe
Der Begriff Liebe ist für Kinder oft Anlass für eine Reihe von negativen Zuschreibungen und Handlungen. Wenn sich ein Bub und ein Mädchen gut verstehen und öfter zusammen gesehen werden, dauert es nicht lange bis zur ersten spöttischen Bemerkung. Wenn sie dann das Etikett "verliebt" bekommen, ist der selbstverständliche Umgang miteinander vorüber. Daran scheitern oft gegengeschlechtliche Freundschaften.
Genauso schlimm ist es, wenn ein gewisser Grad an Nähe zwischen zwei Buben registriert wird. Schnell wird mit Beschimpfungen wie "ihr seid ja schwul", "Die beiden sind verliebt", reagiert. Das ist für die Betroffenen schlimm und für ein selbstverständliches Mit- und Nebeneinander kontraproduktiv. Vor allem die Buben gewöhnen sich daran, bloß kein Gefühl zu zeigen und Nähe zu vermeiden, weil sie den Spott fürchten.

Lernziel: Das Wahrnehmungsregister, was Gefühle betrifft, muss erweitert werden.
Der Begriff Liebe muss von seiner pseudoromantischen Bedeutung befreit werden und sollte kein Diffamierungs-Instrument sein. Es geht um eine Versachlichung der Assoziationen, die mit Liebe Nähe und gegenseitigem Verständnis bei den heranwachsenden Jugendlichen assoziiert werden.
Die Kinder sollen lernen, mit Liebe altersadäquat umzugehen, ein breites Spektrum von positiven Emotionen akzeptieren und anwenden lernen. Es soll genau erarbeitet werden, welche positiven Gefühle man für andere Menschen empfinden kann (z.B. Zuwendung, Zuneigung, Interesse etc) und dass diese nicht alle mit Liebe und schon gar nicht mit sexueller Liebe zusammenhängen.

Spiel: Flauschig, innig, kuschelig
Die Kinder sollen in ihrer Eigenschaft als JournalistInnen für die nächste Ausgabe des Wellness-magazins "Wohlfühlen" eine kleine Liste der schönsten und angenehmsten Gefühle erstellen, die man anderen Menschen entgegenbringen kann.
Liebe selbst soll nicht vorkommen.
Es können auch kleine Beispiele und Erklärungen eingearbeitet werden. Aus jeder Gruppe präsentiert ein Schüler/eine Schülerin das Ergebnis vor der Redaktionskonferenz (gesamte Klasse).

Die zeitgeschichtliche Familien- und Geschlechterrealität ist nach wie vor so konstruiert, dass Familie und Zusammenleben immer noch in den Zuständigkeitsbereich der Frauen fallen. Gefühle, Kinder und private Lebensorganisation sind für Männer nicht in der selben Weise Gedanken- und Gesprächsstoff wie für Frauen. Der Raum, den Männer diesem Lebensbereich gedanklich geben, schlägt sich in ihrem Verhalten nieder. Moderne Frauen hingegen balancieren: Job, Familie, die Beziehung und alle anderen Verpflichtungen.

Männer stellen sich keineswegs in vergleichbarer Weise darauf ein, neben ihrem Beruf eine Partnerin und Kinder zu haben. Ihre fehlende Bereitschaft dies zu tun, bezeichnen wir als ihre mangelnde Familienfähigkeit. Die Konsequenzen betreffen nicht nur das Privatleben, sondern auch den öffentlichen Bereich und die Verhältnisse in der Arbeitswelt.

"Family after five"
In einer aktuellen Studie "Family after five" (Bounty Haushaltsforschung 2002) ging es um die Gestaltung des gemeinsamen Familienabends, die Erfassung diverser Haushaltstätigkeiten rund um das gemeinsame Familien-Abendessen in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Die Interaktion der einzelnen Familienmitglieder und das Spannungsverhältnis zwischen Idealbild und tatsächlicher Familienrealität standen im Zentrum der Betrachtungen.
Die quantitative Befragung wurde anhand strukturierter Fragebögen durchgeführt. Als Zielgruppe galten jene Haushalte, in denen mindestens ein Kind bzw. Jugendliche/r bis 20 Jahren sowie ein Elternteil lebt. In Österreich und in der Schweiz wurden jeweils 400 Personen befragt. Die Stichprobe aus Deutschland umfasst 500 Personen.

Faktor Zuständigkeit
Für den Löwinnenanteil aller anfallenden Arbeiten (Einkaufen, Kochen, Planen oder Küche sauber machen) fühlen sich 80% der Frauen hauptverantwortlich. Nicht weniger als 84% der voll berufstätigen Österreicherinnen geben an, dass sie fast immer für das Kochen zuständig sind. Zum Teil liegt dies aber am weiblichen Perfektionismus, denn die überwältigende Mehrheit der Frauen (90%) ist der Meinung, dass sie ganz einfach besser geeignet sind, das Kommando in der Küche zu übernehmen und zu kochen.
Auch die Planung des gemeinsamen Abendessens liegt fast immer in den Händen der Frauen, wobei deren Kompetenz - egal ob Berufstätige oder Hausfrau - von jedem zweiten Mann bestätigt wird. Immerhin 46% der Männer trauen sich eine ähnliche Leistung zu, aber hier scheiden sich die Geister: nur 11% der Partnerinnen gestehen ihnen diese Fähigkeit zu. Trotzdem träumen die Frauen von einem kompetenten Team: erwünscht sind kooperative Familienmitglieder, nicht nur kleine und große Helfer!

Deutlich wird in der Studie die Koexistenz von Ideal-Bildern
Die Weigerung, Funktionen zu übernehmen, hat natürlich viel mit Bequemlichkeit zu tun. Aber sie hat auch noch andere Ursachen, und zwar bei Kindern und bei Männern (den beiden Gruppen von "Verweigerern") unterschiedliche Gründe. Bei Männern spielt das tief verankerte Traumbild vom Mann, der heimkommt und alles schon erledigt und bereitgestellt vorfindet, der sich nur noch ans obere Tischende setzen und sich wohlwollend auftragen lassen muss, eine nachhaltende Rolle. Dieses Bild wird überlagert von einem zweiten Idealbild, jenem einer lustig zusammenarbeitenden modernen Familie, in der auch der Vater zumindest als Hobbykoch Anteil hat. Diese beiden Bilder koexistieren.

Die Kinder sind nicht aktiver Teil der Familien-Demokratie
Bei Kindern spielt auch noch eine Rolle, dass sie die "Inszenierung", in der sie eine Mithelferrolle spielen sollen, gar nicht gut finden. Viele Familien machen die Erfahrung, dass Kinder zu aktiven Mitwirkenden werden, sobald der Ablauf ihren Präferenzen entspricht.
"Wenn ich mal damit einverstanden bin, dass es heute Pizza vom Zustelldienst gibt, dann entfalten die Kinder plötzlich Energien. Die Söhne, 10 und 12, machen als Beilage eine Riesenschüssel Salat, und sie decken den Tisch, und danach bringen sie sogar noch die Pizzaschachtel runter zum Altpapier weil ich es nicht mag, wenn dieser Riesenkarton in der Küche rumliegt," berichtet eine Mutter, die an anderen Abenden jeden Strich alleine macht.

Die unterschiedlichen Familien-Welten in den drei Ländern:
Der Familientypus der Zweikarrierenfamilie hat vergleichsweise den geringsten Stress. Das ist in erster Linie auf ihre Organisationsfähigkeiten zurückzuführen. Sie "managen" diese Situation effizient, und daher geht es weniger stressig zu als in anderen Familientypen. Die Arbeitsteilung funktioniert hier zwar am besten, aber die Frauen sind auch hier tendenziell einsatzbereiter als die übrigen Familienmitglieder.

Erstaunlicher ist, dass auch die Familiensituation "alleinerziehende Mutter" vergleichsweise so gut abschneidet. Die Erklärung scheint auch hier in der Frage der Organisation zu liegen - weil sie sehr belastet und alleine für so viel zuständig sind, müssen diese Frauen sich gut organisieren. Das Zusammenleben mit den Kindern ist meist recht partnerschaftlich, was ebenfalls den Stress reduziert.

Beim Modell "doppelt berufstätig" gaben die Frauen am häufigsten an, mit dem Beginn des Familienabends auch ihre zweite Arbeitsschicht zu starten. In dieser Gruppe besteht akuter Handlungsbedarf in Richtung partnerschaftliche Rollenumsetzung.

Eine "halbe Demokratie", wie sie vor allem in Österreich vorherrscht, ist besonders stressig.
In einer "halben Demokratie" dürfen alle ihre individuellen Wünsche äußern, aber sie müssen sich nicht an der Realisierung beteiligen. Die bleibt an der Mutter hängen, was eine ziemliche Belastung bedeutet.
Eine Autokratie wie bei den traditionelleren Familien, bei der alle essen, was auf den Tisch gestellt wird und fertig, ist einfacher zu handhaben. Dieser Zugang wird tendenziell in der Schweiz praktiziert.
Um Stress zu vermeiden, müssen Familien, die nicht zurück wollen in die Tradition, wenigstens den Schritt nach vorne tun in die volle Demokratie - und die Kinder, die alle ihre Sonderwünsche berücksichtigt haben wollen, müssen zumindest mithelfen.
Länderunterschiede
Deutschland ist am weitesten vorn, wenn es um "political correctness" geht, dort sind die Männer verbal am partnerschaftlichsten.
Österreicher sprechen unverblümter aus, was sie sich denken.
Schweizer Männer kommen gut weg, sie helfen besonders bereitwillig mit.

Fazit: Es gibt noch keine neue Norm Es hat sich noch keine neue Norm für das abendliche Ritual - und das Zusammenleben insgesamt - herausgebildet, das den Lebensumständen und vor allem den Realitäten des modernen Arbeits-, Schul- und Freizeitlebens entspricht.

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