Nur mit einer starken City ist der Einzelhandel zukunftsfähig
Der Heidelberger Einzelhandel verliert seit Jahren an Attraktivität für Kunden aus dem Umland. Symptomatisch dafür sind eine hohe Geschäftsfluktuation und steigende Kaufkraftverluste an Mannheim, insbesondere im Textilbereich. Gleichzeitig ist eine zunehmende Ausdünnung der Versorgungssituation im Bereich der Nahversorgung in den Stadtteilen und eine zunehmende Angebotskonzentration auf der „grünen Wiese“ zu beobachten.
Um eine fundierte, zukunftsorientierte Beurteilungsgrundlage zur Stärkung der oberzentralen Funktion Heidelbergs und der Stadtteilzentren zu erhalten sowie die Nahversorgung zu sichern, hat die Stadt Heidelberg 2005 die Ludwigsburger Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) mit einem Einzelhandelsgutachten beauftragt. Der Gutachter hatte auch die Aufgabe, die Auswirkungen konkreter Planungsanfragen, insbesondere zur Ansiedlung von großflächigem Einzelhandel, abzuklären. Das Gutachten der GMA wurde am 15. März 2006 im Stadtentwicklungs- und Verkehrsausschuss öffentlich vorgestellt.
Zusammenfassung der Ergebnisse des Einzelhandelsgutachtens
Im November 2005 hat die GMA Daten zu allen Betrieben des Einzelhandels und des Ladenhandwerks (Bäcker- und Metzgereien) in Heidelberg erhoben. Gezählt wurden insgesamt 1.245 Geschäfte, die auf 227.500 Quadratmetern Verkaufsfläche im Jahr 2005 933 Millionen Euro Umsatz erzielten.
Ein Fünftel der Kaufkraft fließt aus Heidelberg ab
Knapp zwei Drittel seines Umsatzes erwirtschaftet der Heidelberger Einzelhandel durch Kunden aus dem Stadtgebiet (579,2 Euro). Dies entspricht einer Kaufkraftbindung von rund 80 Prozent. Die Bindungsquote liegt damit deutlich unter dem Wert anderer Oberzentren. Immerhin fast 150 Millionen Euro geben die Heidelberger Verbraucher in anderen Orten aus, vor allem in Mannheim und im Rhein-Neckar-Zentrum. Zum einen hätten immer mehr Bürger/innen der eigenen Stadt den Rücken gekehrt, zum anderen sei die Kaufkraft, die dem Einzelhandel zur Verfügung steht, in Heidelberg durch die Studierenden, aber auch das hohe Mietniveau geringer als andernorts.
Einzelhandel fällt im regionalen Vergleich zurück
Mehr als jeden dritten Euro Umsatz (37 Prozent) macht der Heidelberger Einzelhandel mit Kunden aus dem Umland. Insgesamt summiert sich dies im Jahr 2005 auf fast 353 Millionen Euro. Bezogen auf sein mögliches Einzugsgebiet ist aus Sicht des Gutachters die Position des Heidelberger Einzelhandels in der Region jedoch schwach ausgeprägt.
Der Heidelberger Einzelhandel konnte sich in den vergangenen Jahren nur bedingt im regionalen Wettbewerbsumfeld behaupten. So sind gegenüber dem letzten Einzelhandelsgutachten von 1997 der Umsatz (plus 7,7 Prozent) und die Verkaufsfläche (plus 6,3 Prozent) nur gering gestiegen. Dadurch ist die Zentralitätsziffer des Oberzentrums Heidelberg von 145 auf nur noch 128 gefallen. Der Umsatz liegt heute nur noch 28 Prozent über dem eigenen Kaufkraftvolumen.
Überregional bedeutsame Magnetbetriebe fehlen
Der Heidelberger Einzelhandel kann, so das Gutachten, die guten Voraussetzungen der Wohlfühlstadt Heidelberg, wie die einmalige Atmosphäre der Altstadt, das Bevölkerungswachstum oder die stabile wirtschaftliche Entwicklung nicht voll ausnutzen, insbesondere weil ihm überregional bedeutsame Magnetbetriebe fehlen.
Verbesserung und Ausweitung des Angebots erforderlich
Ohne die Neuansiedlung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben erwartet der Gutachter eine weitere Rückentwicklung des Einzelhandelsplatzes. Wenn nichts geschieht, rechnet die GMA bis 2010 mit einer Umsatzeinbuße von rund 27 Millionen Euro und einem Rückgang der Verkaufsfläche um etwa 7.300 Quadratmeter. Nur durch eine offensive Weiterentwicklung des Standortes könne es gelingen, Konsumenten zurückzugewinnen und neue Käuferschichten zu erschließen. Bei einem optimalen Konzept könne der Umsatz bis 2010 auf 1,05 Milliarden Euro (plus 19,5 Prozent) und die Verkaufsfläche auf 259.700 Quadratmeter (plus 14,2 Prozent) gesteigert werden.
Die GMA hat drei mögliche Standorte für ein neues Einkaufszentrum auf ihre Verträglichkeit mit der Entwicklung der Innenstadt und der Stadtteilzentren untersucht: mittlere Altstadt (10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche), Kurfürsten-Anlage (30.000 Quadratmeter) und Bahnstadt (mit zwei Größen: 30.000 oder 22.000 Quadratmeter Verkaufsfläche). Die Modellrechnungen kommen zu folgendem Ergebnis:
Kurfürsten-Anlage
Der Standort Kurfürsten-Anlage (Höhe Bauhaus) ist aus Sicht des Gutachters sowohl städtebaulich als auch wirtschaftlich der unattraktivste. Ein rentabler Betrieb eines Einkaufszentrums an dieser Stelle wird von der GMA angezweifelt. Das Projekt könne die Attraktivität Heidelbergs nicht nachhaltig steigern.
Altstadt
Der Standort könne zu einer Stärkung der Innenstadt führen. Mit rund 10.000 Quadratmetern Verkaufsfläche werde seine regionale Wirkung jedoch sehr begrenzt sein.
Bahnstadt
Die Ansiedlung eines Einkaufszentrums in der Bahnstadt hat aus Sicht des Gutachters die größten positiven Effekte unter allen drei Standorten, weil die Kaufkraftabflüsse an Konkurrenzstandorte reduziert würden. Zudem könne mit einem 30.000 Quadratmeter großen Einkaufszentrum zusätzlich Kaufkraft nach Heidelberg geholt werden. Allerdings würde ein Einkaufzentrum in der Bahnstadt auch zu erheblichen Umsatzumverteilungen führen, insbesondere zu Lasten des Einzelhandels in der Innenstadt. Aus Sicht des Gutachters würde dadurch der Strukturwandel des innerstädtischen Einzelhandels beschleunigt. Ein Einkaufzentrum mit nur rund 22.000 Quadratmetern Verkaufsfläche würde zwar geringere Umsatzumverteilungseffekte zu Lasten der City und der umgebenden Stadtteile aufweisen, aber auch deutlich weniger zusätzliche Kaufkraft erschließen.
Fazit
Das Gutachten spricht sich dafür aus, neben der vorrangigen Förderung des Stadtzentrums ein Einkaufszentrum in der Bahnstadt anzusiedeln. Nur so könnten die Zentralität des Handelsplatzes Heidelberg insgesamt deutlich erhöht und gleichzeitig die negativen Auswirkungen gegenüber dem innerstädtischen Einzelhandel relativiert werden. Das Gutachten befürwortet deshalb eine „große Lösung“ mit der Ansiedlung eines Shopping-Centers in der Altstadt mit etwa 10.000 Quadratmetern Verkaufsfläche und einem Einkaufszentrum in der Bahnstadt mit etwa 30.000 Quadratmetern.