Einzigartiges Kulturdenkmal: Ehrenamtliche haben 769 Wegweisersteine im Stadtwald renoviert
Jeder einzelne Stein ist kartiert und im Online-Stadtplan abrufbar – 770. Stein wurde gespendet
Noch heute weisen sie bei ausgedehnten Spaziergängen den Weg: Die (nach bisherigem Stand) 769 Wegweisersteine im Stadtwald sind ein einzigartiges Kulturdenkmal. Rund 100 Heidelberger Bürgerinnen und Bürger haben in den vergangenen sieben Jahren Stein für Stein restauriert. In Zusammenarbeit mit dem städtischen Landschafts- und Forstamt haben sie damit eine hundertjährige Forst- und Kulturgeschichte fortgesetzt. Die vorher teils stark bemoosten und verwitterten Steine sind nun alle gereinigt, und die Schrift ist mit frischer Farbe nachgezogen. Die großen Sandsteinbrocken liegen mitunter tief im Wald.
Der Arbeitskreis „Sport und Natur“ des „Sportkreis Heidelberg“ hatte die Aktion „Wegweisersteine“ 2009 gestartet. Bald wuchs das Projekt über die Sportlerszene hinaus und wurde zunächst Teil des städtischen Naturerlebnisprogramms „Natürlich Heidelberg“. Dann begeisterten sich immer mehr Menschen für die Aufgabe, so dass daraus ein Projekt der Bürgerschaft wurde. Jährliche Helferfeste im Wald sorgten für den Zusammenhalt der Freiwilligen. Zum Abschluss des Projektes hatte die Stadt Heidelberg nun alle Helferinnen und Helfer am Freitag, 22. April 2016, zu einem Empfang ins Rathaus eingeladen.
Nach einem Grußwort von Gerhard Schäfer, dem Vorsitzenden des Sportkreises Heidelberg e. V., erläuterte Projektleiter Prof. Dr. Peter Hellwig die Geschichte und Renovierung der Steine. Der Hauptpreis bei einer Verlosung für die Ehrenamtlichen war ein „Königstuhl“, der vom Heidelberger Stuhlmuseum der Evangelischen Stadtmission gestiftet wurde. Anlässlich ihres 25-jährigen Bestehens spendete der „Kurpfälzer Gleitschirmflieger Heidelberg e. V.“ am Riesensteinweg den 770. Wegweiserstein im Wert von 700 Euro. Die Firma Riegler lieferte kostenlos den Kuchen für alle Helferfeste der vergangenen Jahre. Die Firma BASF hat nicht die nur gesamte Farbe für das Nachmalen der Steine gespendet, sondern sogar eine spezielle Farbe für dieses Projekt entwickelt.
Heidelberg wollte ein bedeutender (Luft-)Kurort werden
Im Heidelberger Stadtwald gibt es ein außergewöhnlich enges Netz von Wegen und Pfaden. Im ausgehenden 19. Jahrhundert beschäftigte man sich intensiv damit, die Orientierung an Kreuzungen im Wald und im Gelände zu erleichtern. An fast jeder Wegkreuzung befinden sich Wegweisersteine. Die schweren Sandsteinblöcke, teils kunstvoll behauen, geben die Namen der Wege und die Richtung zu markanten Stellen im Wald an. Die Verbreitung reicht von Weißen Stein bis Leimen, von Handschuhsheim bis Schönau. Immer ist die Schrift sorgfältig eingemeißelt. Die Buchstaben wurden weiß oder schwarz auf weißem Grund ausgemalt. Wie die Akten im Stadtarchiv belegen, wurden die steinernen Wegweiser hauptsächlich zwischen 1880 und 1910 aufgestellt. Im selben Zeitraum wurde das Schloss restauriert, die Bergbahn gebaut, die Stadthalle entstand, das Hotel Molkenkur bot eine Molke-Diät, die Bismarcksäule wurde errichtet. Heidelberg wollte ein bedeutender (Luft-)Kurort werden.
Über 40.000 Buchstaben in geschätzt 6.000 Arbeitsstunden restauriert
Insgesamt haben die Ehrenamtlichen 40.776 Buchstaben bearbeitet, das sind rund 53 Buchstaben pro Stein. Der heutige Preis der Steinmetzarbeiten liegt bei etwa 18 Euro pro Buchstabe – der Wiederbeschaffungspreis würde also mindestens 734.000 Euro betragen. Die Kartierung, Organisation und Renovierung haben, vorsichtig geschätzt, 6.000 Arbeitsstunden in Anspruch genommen. Der Wert der gesamten ehrenamtlichen Arbeit kann mit mindestens 100.000 Euro veranschlagt werden.
Jeder Stein ist im Online-Stadtplan abrufbar
In Zeiten von Smartphone & Co. muten die Steine mit Richtungs- und teilweise Entfernungsangabe an wie aus dem Märchen. Dennoch geben sie Wanderern nach wie vor Orientierung. Die Computerentwicklung hat es jetzt möglich gemacht, jeden einzelnen Stein in das städtische Geodaten-Portal aufzunehmen. Nach drei Jahren waren die meisten Wegesteine im Gelände gefunden und in das System eingegeben. Auf diese Weise war das Kulturdenkmal überhaupt zum ersten Mal inventarisiert. Das Bildarchiv mit Infos zu den einzelnen Wegweisern und ihre Restaurierungsgeschichte sind unter www.heidelberg.de/stadtplan > Freizeitkarte abrufbar. Das Online-Angebot ist beim Abschlussfest präsentiert und symbolisch für die Öffentlichkeit freigeschalten worden.
Bewusste Umgestaltung des städtischen Forstes in einen Erholungswald
Doch wie kam es damals zu dieser riesigen Anstrengung in Heidelberg? Joachim Leuschen ist dieser Frage nachgegangen – ebenfalls ehrenamtlich. Im Stadtarchiv stieß er auf die sogenannte „Waldkommission“, einen Ausschuss, dem drei bis fünf Stadträte und der Oberförster angehörten. 1884 bewilligte die Waldkommission 1.200 Mark für die Ausstellung von 20 neuen Bänken und 20 neuen Wegweisern im Jahr. Auch für die folgenden 30 Jahre finden sich in den Kassenbüchern Belege für Ausgaben in gleicher oder steigender Höhe, so dass bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg 600 Steine aufgestellt worden sein könnten.
Aber nicht nur die öffentliche Hand kümmerte sich um die Infrastruktur im Wald. Der 1884 gegründete „Gemeinnützige Verein“ warb erhebliche Mittel ein (65.000 Mark bis 1904), errichtete Schutzhütten und stellte auf eigene Kosten Bänke und Wegweiser auf. Die Waldkommission bestand darauf, wie ein Protokoll vom 26. Dezember 1887 enthüllt, dass der Verein statt Holztafeln steinerne Wegweiser aufstellen möge, um „ein einheitliches System an Wegweisern herzustellen“. Die Aufstellung der Wegesteine war also eine bewusste, von vielen getragene Maßnahme zur Umgestaltung des städtischen Forstes in einen Erholungswald.