Weniger Heidelberger sind von Armut gefährdet

Stadt Heidelberg legt dritten Bericht zur sozialen Lage vor – OB Würzner: Dürfen in unseren Anstrengungen nicht nachlassen

Balkendiagramm zur Mindestsicherungsquote im kommunalen Vergleich zum 31. Dezember 2016  (Grafik: Statistische Ämter des Bundes und der Länder).
In Heidelberg bezogen Ende 2016 6,6 Prozent aller Einwohner Leistungen zur Mindestsicherung – das ist im Landesvergleich zusammen mit Ulm die geringste Quote und liegt deutlich unter der des Bundes (9,5, Prozent). Die Mindestsicherungsquote ist ein zusammengefasster Indikator, der den Anteil der Empfänger von Mindestsicherungsleistungen an der Gesamtbevölkerung darstellt. Darin enthalten sind Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Grafik: Statistische Ämter des Bundes und der Länder).

Die Stadt Heidelberg legt am 6. November im Ausschuss für Soziales und Chancengleichheit ihren dritten Bericht zur sozialen Lage vor. Der Bericht, der auf den Daten von 2016 basiert, zeigt: in Heidelberg sind heute weniger Menschen armutsgefährdet als zum Zeitpunkt der letzten Datenerhebung im Jahr 2009. Bei rasch wachsender Bevölkerung beziehen deutlich weniger Menschen Sozialleistungen. Wie in anderen Städten gibt es aber auch in Heidelberg Bevölkerungsgruppen, die besonders von Armut gefährdet sind. Dazu gehören insbesondere Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern sowie Langzeitarbeitslose. Der Bericht zur sozialen Lage wird in den kommenden Wochen in den Gremien des Gemeinderats vorgestellt und diskutiert.

„Der Bericht zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Netzwerke für Unterstützung sind in unserer Stadt eng geknüpft, auch dank vieler Partner, die sich gemeinsam mit uns für ein soziales Heidelberg engagieren. Der Bericht zeigt aber auch, dass wir in einer vergleichsweise wohlhabenden Stadt wie Heidelberg in unseren Anstrengungen nicht nachlassen dürfen“, sagt Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner.

„Armut und Reichtum hat nicht ausschließlich damit zu tun, wie materielle Ressourcen verteilt sind“, erklärt Sozialbürgermeister Dr. Joachim Gerner. „Ebenso geht es ganz konkret auch um Teilhabechancen von Menschen, die ein höheres Armutsrisiko tragen. Auch wer wenig im Geldbeutel hat, soll in Heidelberg die Chance auf gerechte Teilhabe an Bildung, Kultur und gesellschaftlichem Leben haben. Dass wir diese Möglichkeiten vor Ort gezielt verbessern können, ist unsere Stärke als Kommune. Der Bericht zur sozialen Lage ist uns dabei eine wertvolle Orientierungshilfe“, so Gerner.

Unabhängiger Gutachter – breite Beteiligung

Erstellt wurde der Bericht von „SIM – Sozialplanung und Quartiersentwicklung, München“, einem unabhängigen Dienstleister mit langjähriger einschlägiger Projekterfahrung im Bereich kommunale Berichterstattung. Fachlich begleitet wurde er von einem Arbeitskreis mit 27 Vertreterinnen und Vertretern der Liga der freien Wohlfahrtspflege, des Gemeinderates, des Beirats von Menschen mit Behinderungen, des Ausländer- und Migrationsrats, des Jugendgemeinderats, des Heidelberger Bündnisses gegen Armut und Ausgrenzung, des Forums Chancengleichheit, der Arbeitsgemeinschaft Heidelberger Frauengruppen und Frauenverbände, des Jobcenters, des Gesundheitsamts und der Verwaltung unter Leitung von Bürgermeister Dr. Joachim Gerner. Der Bericht ist die zentrale Orientierungshilfe der kommunalen Sozialpolitik.

Die Ergebnisse des Berichts zur sozialen Lage im Einzelnen:

  • Weniger Hilfeempfänger
    Der Vergleich zum letzten Bericht zur Sozialen Lage aus dem Jahr 2011 zeigt: Die Arbeitslosenquote ist in Heidelberg von 6,2 auf 4,4 Prozent zurückgegangen, das ist der zweitniedrigste Wert unter den baden-württembergischen Stadtkreisen. Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist um 20 Prozent gestiegen und zwar in allen Stadtteilen. Folglich gibt es weniger Hartz IV-Empfänger in Heidelberg. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der Zahl der Arbeitslosen ist allerdings von 30,4 auf 33 Prozent gestiegen.
    Der Anteil der Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, ist deutlich gesunken:
    Insgesamt ist trotz Zuwanderung die Zahl der Menschen, die Hartz IV, Sozialhilfe nach dem SGB XII, Wohngeld oder Asylbewerberleistungen bekommen um 0,8 Prozentpunkte zurückgegangen – von 8,4 Prozent auf 7,6 Prozent. Heidelberg hat außerdem die geringste Schuldnerquote Baden-Württembergs.
  • Interkommunaler Vergleich
    Ein Vergleich der sozialen Situation Heidelbergs zu anderen deutschen Städten ist nur über die sogenannte Mindestsicherungsquote möglich, in der Leistungen nach Hartz IV, Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz enthalten sind. Demnach bezogen in Heidelberg Ende 2016 6,6 Prozent aller Einwohner Leistungen zur Mindestsicherung – das ist im Landesvergleich zusammen mit Ulm die geringste Quote und liegt deutlich unter der des Bundes (9,5, Prozent). Zum Vergleich: In Stuttgart liegt die Mindestsicherungsquote bei 8,7 Prozent, in Freiburg bei 9,8 Prozent, in Mannheim ist sie mit 12 Prozent sogar fast doppelt so hoch wie in Heidelberg.
  • Hohe Ungleichheit der Einkommen
    Heidelberg gehört zu den Stadtkreisen mit der stärksten ungleichen Verteilung der veranlagten Einkommen. 2013 kamen auf 10.000 Steuerpflichtige 13 Einkommensmillionäre. Die rund fünf Prozent Bestverdiener mit Einkünften von 125.000 Euro und mehr verdienen fast die Hälfte (45,2 Prozent) des Gesamteinkommens. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass 2013 einige wenige Personen so außerordentlich viel verdient haben, dass die Statistik tendenziell nach oben verzerrt ist.
  • Erhöhtes Armutsrisiko bei Alleinerziehenden und kinderreichen Familien
    Zu den besonders von Armut gefährdeten Gruppen zählen wie überall Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern. Die Altersarmut ist dagegen Ende 2016 eher noch nachrangig, wird in den nächsten Jahren voraussichtlich aber ansteigen. Allerdings ist laut Bericht verdeckte Armut auch ein relevantes Thema.
    Große Armutsrisiken liegen in der längeren Unterbrechung von Arbeit und einer wenig qualifizierten oder abgebrochenen Ausbildung. Wohnungslosigkeit geht fast immer mit Armut einher. Auch hinter den 12,8 Prozent Niedriglohnbeziehern an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steckt ein hohes Armutspotenzial.
  • Armutsrisiko von Kindern gesunken
    Das Armutsrisiko von Kindern ist seit dem Bericht 2011 deutlich gesunken. 2016 lebte nur noch jedes neunte Kind in einem Hartz IV-Haushalt, im Bericht zuvor war es noch jedes achte.
    Sozialräumlich hat sich seit dem letzten Bericht zur sozialen Lage wenig verändert: Die höchsten Anteile von Leistungsempfänger (Hartz IV und Grundsicherung im Alter) gibt es in den Stadtteilen Boxberg, Emmertsgrund, in Bergheim und Kirchheim, auch wenn sich hier der gesamtstädtische rückläufige Trend ebenfalls zeigt.
  • Hervorragende Unterstützungsangebote
    Das Büro SIM bescheinigt der Stadt Heidelberg eine hervorragende Dienstleistungslandschaft mit zielgruppenübergreifenden Unterstützungsangeboten: Kommune, Wohlfahrtsverbände und Ehrenamtliche engagieren sich, um spezifisch und lösungsorientiert Einzelfällen und Gruppen zu helfen. Angebote gibt es insbesondere zur Sicherung der existentiellen Grundbedürfnisse (Tafeln, Kleiderkammern), von soziokultureller Teilhabe und Mobilität (Heidelberg-Pass, Sozialticket), finanziellen Beratungs- und Unterstützungsangeboten („Aktion Nähe“ der Stadtwerke, Stromsparchecks, Schuldnerberatung) sowie niederschwelligen psychosozialen Angebotsbausteinen (Bahnhofmission, Manna, Allgemeine Sozialberatung, ehrenamtliche Behördenpaten). Der Gutachter lobt insbesondere, dass die Angebote in Heidelberg aufeinander aufbauen und gut vernetzt sind.

Handlungsempfehlungen:

Der Bericht zur sozialen Lage empfiehlt, bestehende Unterstützungsangebote fortzuführen und weiterzuentwickeln. Darüber hinaus gibt er Handlungsempfehlungen für Bereiche, auf die in den nächsten Jahren ein besonderer Fokus gelegt werden soll:

  • Arbeitsmarktpolitik
    Hier ist in den nächsten Jahren die Integration von Langzeitarbeitslosen die größte Herausforderung. Zwar ist im Bereich des Arbeitsmarktes überwiegend der Bund zuständig und die kommunalen Gestaltungsmöglichkeiten sind deutlich eingeschränkt. Dennoch ist die Stadt hier seit Jahren mit Maßnahmen und Programmen zur kommunalen Beschäftigungsförderung aktiv. Der Bericht kommt zum Ergebnis, dass das kommunale Engagement hier weitergeführt und beispielsweise Langzeitarbeitslose gefördert, Arbeitgeber für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen sensibilisiert und psychisch kranke Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden sollen.
  • Bildung
    Im Bereich Bildung soll der Fokus künftig auf Auffang-Angebote für „Systemaussteiger“ und die Schaffung eines durchgängigen Systems zur Berufsfindung gelegt werden.
  • Kinder, Jugendliche, Familien und Senioren
    Die Handlungsempfehlungen zielen auf eine bessere Nutzung bestehender Angebote durch alle Kulturkreise ab, der Zugang zu den Angeboten soll verbessert werden. Das gilt insbesondere auch für Angebote, die für Ältere gemacht werden. Niederschwelligkeit, Barrierefreiheit und die Vernetzung mit Akteuren im Stadtteil spielen hier eine zentrale Rolle.
  • Zielgruppenübergreifende Empfehlungen
    Bei den zielgruppenübergreifenden Unterstützungsangeboten soll eine Stärkung der Quartiersarbeit angestrebt werden. Eine Anlaufstelle im Quartier soll auf einschlägige Beratungs- und Unterstützungsangebote verweisen und Menschen vor Ort in Kontakt miteinander bringen. An zwei bis drei Modellstandorten sollen unterschiedliche Ansätze dazu erprobt werden.
    Außerdem gibt es Empfehlungen die Heidelberg-Pass-Angebote und das Sozialticket zu überprüfen und neu zu bewerten, niederschwellige Bildungsangebote für einkommensschwache oder sozial ausgegrenzte Erwachsene einzurichten oder zu stärken, die Schuldnerberatung fortzuentwickeln und eine Kampagne zur Gewinnung von Fachkräften für soziale Berufe durchzuführen.

Wie geht’s weiter?

Die Stadt Heidelberg möchte ein sogenanntes „Sozialraummonitoring“ aufbauen. Damit sollen Bürger und Gemeinderat im zweijährlichen Rhythmus über die sozialen Entwicklungen in Heidelberg informiert werden. Mithilfe des Sozialraummonitorings soll es möglich sein, gezielt auf Veränderungen zu reagieren und Projekte inhaltlich anzupassen. 2020 soll ein erster Monitoring-Bericht vorliegen.

Bericht zur sozialen Lage zum Download (6,6 MB)

(Erstellt am 05. November 2018)
×