Die Neckarwiese bei strahlendem Sonnenschein. (Foto: Diemer)

Klimaschutz von unten

Gastbeitrag von OB Würzner in der Frankfurter Rundschau

Städte und Gemeinden spielen eine wichtige Rolle bei der Reduzierung von Treibhausgasen. Aber die EU muss ihnen helfen.

Wie geht es weiter in der Klima- und Energiepolitik in Europa bis 2030? Eine Antwort auf diese drängende Frage lässt auf sich warten. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union konnten sich beim Gipfel im März nicht einigen. Eine verbindliche Festlegung wurde vertagt.

Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner (Foto: Hentschel)
OB Dr. Eckart Würzner (Foto: Hentschel)

Dabei hängt von der Brüsseler Entscheidung viel ab - auch für Städte und Gemeinden in ganz Europa. Sie sind es, die sich vorrangig mit den Folgen des Klimawandels für die Bürgerinnen und Bürger auseinandersetzen müssen. Und sie sind es, die einen erheblichen Beitrag leisten können, um Klimaschutz und nachhaltige Energiepolitik in Europa voranzubringen.

Die gute Nachricht: Trotz mangelnder Ambition aus Brüssel warten Städte schon lange nicht mehr tatenlos auf europäische Vorgaben, um nachhaltig zu handeln. Ein Beispiel für vorausschauende Energie- und Klimaschutzpolitik made by Städten und Kommunen ist der Konvent der Bürgermeister. Mehr als 5500 Städte haben sich in diesem Gremium das europäische Ziel zu eigen gemacht, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Darunter auch Heidelberg.

Die von der EU-Kommission gegründete Initiative - die weltweit einzige, die Städte zu ehrgeizigen Energie und Klimazielen ermutigt - sollte auf keinen Fall in dem neuen Energie- und Klimapaket für 2030 fehlen. Viele dieser Kommunen engagieren sich darüber hinaus im europäischen Städtenetzwerk "Energy Cities" für eine nachhaltige Energiepolitik und gehen mit gutem Beispiel voran. So versorgt die Stadt Växjö in Schweden schon jetzt ihre 90 000 Einwohner zu 100 Prozent mit Strom und Wärme aus Biomasse. In Brüssel-Stadt wurden die Anforderungen an Neubauten und Renovierung in enger Zusammenarbeit mit der gesamten Bauindustrie sowie Weiterbildungsstätten radikal umgestellt: Neubauten der öffentlichen Hand müssen seit 2010 dem Passivhausstandard entsprechen, Renovierungen unterliegen den Niedrigenergiestandards. Wie "Energiewenden" in Städten und Gemeinden vorangetrieben werden können, zeigt Energy Cities anhand vieler Best-Practice-Beispiele und mit konkreten Vorschlägen für die Praxis in einem "Storybook".

In Zeiten angespannter kommunaler Haushalte können gerade Energieeffizienzmaßnahmen neue Mittel freisetzen und gleichzeitig in erheblichem Maße zum Klimaschutz beitragen. In Heidelberg ist es beispielsweise gelungen, durch mehr Energieeffizienz den Energieverbrauch in öffentlichen Gebäuden seit 1990 um die Hälfte zu senken und somit 20 000 Tonnen CO2 einzusparen. Bis 2050 wollen wir die CO2-Emissionen um 95 Prozent reduzieren und den Energiebedarf um die Hälfte senken. Unser neues Bahnstadt-Viertel, größter Nullemissionsstadtteil Europas, ist ein wichtiger Schritt für die gesamte Entwicklung Heidelbergs.

Viele Städte in Europa haben die gleiche Richtung eingeschlagen. Sie gehen schon lange neue Wege, um zu einem Niedrigenergie-Umfeld zu werden. Sie begreifen Energienetze und -versorgung als zentralen Teil der städtischen Infrastruktur und als Schlüssel zu wirksamem Klimaschutz. Durch eine umfassende energieeffiziente Stadtentwicklung, die über die Einzelsanierung von Gebäuden hinausgeht, können Energiebedarf und CO2-Ausstoß dauerhaft gesenkt und Städte zukunftsfähig entwickelt werden. Ein verbindliches europäisches 40-Prozent- Ziel für die Steigerung der Energieeffizienz bis 2030 kann den entscheidenden Impuls liefern, um solche Entwicklungen voranzutreiben.

Der Appell von Energy Cities an den EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, sich für ein solches Effizienzziel einzusetzen, sollte spätestens bis zum nächsten Gipfeltreffen im Juni erhört werden. In Deutschland beobachten wir, dass der langfristige Umbau unseres Energiesystems stark von Kommunen und Bürgern angetrieben wird. Kommunale, dezentrale Energieversorgung über Stadtwerke und Energieinitiativen in Bürgerhand tragen maßgeblich zum Vorankommen der Energiewende bei. Die Nutzung regionaler, vor allem erneuerbarer Energieerzeugungs-Kapazitäten bietet den Kommunen neue Handlungsspielräume und sorgt für Wertschöpfungseffekte in einer ganzen Region. Doch die Potenziale können nur gehoben werden, wenn Europa seine Vorreiterstellung auch bei Erneuerbaren Energien durch ambitionierte und national verbindliche Zielvorgaben bewahrt und somit die lokale Ebene in ihren Anstrengungen auch finanziell unterstützt.

Als jetzt der Weltklimarat IPCC seinen neuen Bericht zu den weltweiten Folgen des Klimawandels vorlegte, wurden wir erneut daran erinnert, dass der Klimawandel voranschreitet. Städte und Kommunen müssen beispielsweise städtebauliche Strategien sowohl zur Anpassung als auch vorbeugend zum Erhalt des Klimas entwickeln. Noch kann Europa weltweit hohe Maßstäbe setzen, um lebenswerten Stadtraum auch unter veränderten Bedingungen zu fördern.

Wir brauchen eine mutige europäische Klima- und Energiepolitik, die auf die wertvollen Erfahrungen von Städten und Kommunen zurückgreift, wie eine europäische Energiewende effizient und wirtschaftlich vorangetrieben werden kann. Die EU-Kommission sollte die Energiezukunft 2030 nicht ohne sie gestalten, wenn sie die Chance eines ambitionierten Klimaschutzes und einer europaweit dezentralisierten Energieversorgung nicht verspielen will. Dr. Eckart Würzner ist seit 2006 Oberbürgermeister von Heidelberg. Als Präsident des Netzwerks Energy Cities vertritt er die Interessen von rund 1000 Städten aus 30 Ländern. 

zum Gastbeitrag von OB Würzner in der Frankfurter Rundschau: Klimaschutz von unten

×