Jahresinterview mit Oberbürgermeister Eckart Würzner

Jahresinterview mit Oberbürgermeister Eckart Würzner

Würzner und zwei Kinder grillen Marshmellows an einer Feuerstelle
 Beim Jahresauftakt 2023 stellten sich viele Vereine vor. Auch beim Neujahrsfest am 21. Januar 2024 in der Südstadt wird es wieder viel zu entdecken geben. (Foto Dittmer)

Herr Würzner, war 2023 wieder ein Jahr im „Krisenmodus“?

Oberbürgermeister Eckart Würzner: International gesehen ja – vor allem wegen des Terrorangriffs der Hamas auf Israel mit seiner unfassbaren Brutalität, dem Krieg in der Ukraine und der immer deutlicher werdenden Konsequenzen des Klimawandels. In Heidelberg habe ich aber auch viel Aufbruchsstimmung wahrgenommen – das Ende der absolut bedrückenden Pandemie hat Energien freigesetzt.

Nachhaltigkeit ist nicht nur Ökologie

Die Wirtschaftswoche hat Heidelberg vor Kurzem zur nachhaltigsten Stadt Deutschlands gekürt – warum? 

Würzner: Weil wir in allen Bereichen innovativ und zukunftsfähig denken und handeln. Die meisten Menschen denken bei Nachhaltigkeit ausschließlich an den ökologischen Aspekt. Da machen wir schon viel. Wir versorgen bereits die Hälfte des Stadtgebiets mit Fernwärme und bereiten den weiteren Ausbau vor. Wir erschließen systematisch neue regenerative Energiequellen, von der Photovoltaik über Windkraft bis zur Flusswärme. Oder nehmen Sie den Verkehrsbereich: In Heidelberg legen die Menschen fast 80 Prozent der Wege umweltfreundlich zurück: zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem ÖPNV. Das ist bundesweite Spitze. Jetzt gehen wir die nächsten Schritte: mit Radbrücken, mit Radschnellwegen und mit Elektrobussen.

Was gehört noch zur Nachhaltigkeit?

Würzner: Die zwei Bereiche Soziales und Wirtschaft. Unsere Welt dreht sich immer schneller, die Anforderungen an den Einzelnen werden immer höher. Wir müssen die Menschen in die Lage versetzen, mit diesem schnellen Wandel umzugehen. Deshalb geben wir jeden fünften Euro für unsere Kinder und Jugendlichen aus: für Kitas, Schulsanierungen, die Digitalisierung der Schulen und vieles mehr. Der Erfolg ist eindeutig: Heidelberg hat die niedrigste Schulabbrecherquote in ganz Deutschland. Mehr als 98 Prozent der Schülerinnen und Schüler machen einen Abschluss.

Heidelberg ist weltweit für seine Wissenschaft bekannt. Welche Rolle spielt die Wirtschaft? 

Würzner: Die Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen ziehen kluge Köpfe aus aller Welt an – und das schon seit Jahrhunderten. Was eine neuere Entwicklung ist: Es gelingt mehr und mehr ein Transfer aus der Forschung in konkrete Produkte, die am Markt gefragt sind. Wir sehen das ganz stark in den Bereichen Biotechnologie, IT und Künstliche Intelligenz oder im ganzen Segment der „grünen Technologie“. Und wir schaffen es zunehmend, dass die entstehenden Unternehmen in Heidelberg bleiben wollen, sich hier ansiedeln und wachsen.

Warum ist das für Heidelberg wichtig?

Würzner: Es schafft krisensichere und gut bezahlte Arbeitsplätze und wir behalten Wertschöpfung vor Ort. Die Unternehmen, die diese Jobs bereitstellen, zahlen hier Gewerbesteuer – wir hatten 2022 ein Rekordjahr mit 169 Millionen Euro Einnahmen. Nur deswegen können wir uns viele Dinge leisten, die für das soziale Miteinander in der Stadt entscheidend sind. 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Würzner: Die aktuelle PISA-Studie stellt den deutschen Schulen wieder ein schlechtes Zeugnis aus. Aber in Heidelberg können wir mit kommunalen Maßnahmen gegensteuern: Schulsozialarbeit über alle Schularten hinweg, Sprachförderung oder das Unterstützungssystem Schule HÜS. Das kostet uns alles Geld – aber es lohnt sich, wenn Kinder dadurch bessere Bildungschancen bekommen. Wie gesagt: Wir haben die niedrigste Schulabbrecherquote in ganz Deutschland. Der soziale Hintergrund spielt bei uns fast keine Rolle mehr beim Schulerfolg. Das ist für mich der schönste Erfolg.

Lohnt es sich auch für den sozialen Frieden in der Stadt?

Würzner: Das hoffe ich sehr. Ich spüre in Heidelberg auch grundsätzlich ein Klima des gegenseitigen Respekts. Man kann in der Sache hart streiten. Aber die Grundlage sollte immer ein offenes Miteinander sein, in dem man einander zuhört und nicht übereinander hinwegbrüllt.

Heidelbergs Potenziale nutzen

Hart gestritten wird beispielsweise über den Windpark auf dem Lammerskopf. Die Stadt unterstützt das Projekt – haben Sie auch Verständnis für die Gegner?

Würzner: Ja, es ist definitiv eine schwierige Entscheidung. Aber wir müssen klimafreundliche Energie auch lokal produzieren. Wer meint, das könne man alles auf der Nordsee oder in der Sahara verstecken, liegt falsch.

Aber könnte man Windräder nicht auch in der Ebene bauen? 

Würzner: Windanlagen brauchen Bedingungen, die wir bei uns fast nur an den Berghängen finden. Und die Hänge sind bewaldet, deshalb können wir die Nutzung von Waldgebieten nicht grundsätzlich ausschließen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir die Anlagen so ausgestalten können, dass sie größtenteils außerhalb der besonders schützenswerten Naturräume liegen. Die Potenziale auf dem Lammerskopf oder auch Richtung Weißer Stein sind jedenfalls groß. Nur mal ein Beispiel: Ein einziges Windrad reicht aus, um ganz Ziegelhausen mit Strom zu versorgen!

Enorme Potenziale hat Heidelberg auch im Kulturbereich – reicht es für eine Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt? 

Würzner: Das ist eine Frage, die wir sehr breit mit dem Gemeinderat, mit Kulturschaffenden und der Bevölkerung klären wollen. Dafür nehmen wir uns die nötige Zeit. Ich sehe darin eine großartige Chance. Kultur ist in meinen Augen eine treibende Kraft für die gesamte Stadtentwicklung. Schauen Sie sich nur das Leben rund um den neuen 
Karlstorbahnhof an. Das inspiriert das gesamte Quartier. Gemeinsam an einer Vision für eine Kulturhauptstadt zu arbeiten wäre für Heidelberg und die Region ein spannendes Projekt.

Letzte Frage: Worauf freuen Sie sich noch in 2024?

Würzner: In Heidelberg feiern wir am 21. Januar mit den Bürgerinnen und Bürgern rund um den neuen Karlstorbahnhof unser Neujahrsfest – das ist ein Termin, auf den ich mich sehr freue. Genauso auf die Eröffnung des neuen Kongresszentrums im April, denn dieses Haus wird Heidelberg nochmal einen großen Schub geben. Wenn ich über unsere Stadt hinaus denke, würde ich mich aber vor allem über eine friedlichere Welt freuen und weltweit mehr Engagement für den Klimaschutz. 

Das Jahresinterview als Video unter www.youtube.com/StadtHeidelberg