Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg 2024 an Sibylla Vričić Hausmann verliehen


Für ihren Lyrikband „meine Faust“ (kookbooks Verlag, 2022) hat Sibylla Vričić Hausmann den mit 10.000 Euro dotierten Clemens-Brentano-Preis für Literatur der Stadt Heidelberg erhalten. Die in Leipzig lebende Autorin nahm die Auszeichnung am 19. Juni 2024 im Rahmen einer Feierstunde aus den Händen von Bürgermeisterin Martina Pfister im Palais Prinz Carl entgegen. Der Preis wurde in diesem Jahr zum 31. Mal verliehen.

Man sieht die Übergabe des Clemes-Brentano-Preis an Sibylla Vričić Hausmann
Erhielt den Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg 2024: Sibylla Vričić Hausmann. (Foto: Konrad Gös)

Eine kritische Ästhetik der Mutterschaft

Die Jury hatte die Entscheidung für Vričić Hausmann im April dieses Jahres gefällt. In der Jury-Begründung heißt es: „In Ihrem zweiten, raffiniert komponierten Lyrikband ‚meine Faust‘ lotet die Schriftstellerin Sybilla Vričić Hausmann das spannungsreiche Verhältnis zwischen den Rollen als Autorin und als Mutter aus. Mit vielschichtigen stilistischen, sprachlichen und kontextuellen Anklängen, die von Yoko Ono bis zur Bibel reichen, entwirft sie eine kritische Ästhetik der Mutterschaft. Und öffnet im Wechselspiel zwischen konkreter Anschauung und theoretischer Reflexion zugleich unseren Blick dafür, in welcher Weise weibliche Wut poetisch ausgedrückt werden kann.“

Zwischen Gebet und Komet

Laudatorin Beate Tröger würdigte Sibylla Vričić Hausmanns so lyrische wie leidenschaftliche Kunst in „meine Faust“: „Ihr entschiedener Zorn tritt uns aus den Gedichten in ‚meine Faust‘ deutlich entgegen, in denen einen Sprecherinnenstimme schon im Titel ihre Faust erhebt, dabei mit der Semantik spielend, indem sie sich trotzig zugleich einen der bekanntesten Texte Goethes zu eigen macht, den Faust durch das besitzanzeigende Fürwort ‚meine‘ zu sich heranholt und uns sagt: Das kann und will ich auch! So ein Zorn hat etwas Himmlisches, indem er da sein und Ausdruck finden darf, indem er einer anderen als der von Brentano glorifizierten, einer womöglich tieferen Liebe Platz machen kann. Einer Liebe, die nicht nur auf Frömmigkeit und Reinheit beruht.“

Gedichte, die das Private mit dem Politischen verbinden

Auch Bürgermeisterin Pfister lobte Sibylla Vričić Hausmanns Gedichtband: „Dieser Gedichtband verwebt das Private mit dem Politischen. Denn die Autorin stellt darin mit den Mitteln der Literatur Fragen, die auch im Kultur- und Literaturbetrieb seit einiger Zeit virulent geworden sind. Was passiert zum Beispiel mit dem eigenen Schreiben, wenn man Mutter wird und Kinder bekommt? Wandelt sich der Blick auf die eigene Mutter? Wandeln sich die Themen, die Formen? Die Faust auf dem Cover deutet an: hier geht es auch um Widerstand. Widerstand zum Beispiel gegen einengende Geschlechterzuschreibungen, von der auch die Literatur noch nicht befreit ist. Und doch obsiegt in „meine Faust“ die Poesie. So wundert es nicht, dass die Jury sich für diesen Band entschieden hat.“

Sie betonte zudem die Besonderheit des Heidelberger Literaturförderpreises: Deutschlandweit einzigartig sei, dass professionelle Literaturkritikerinnen und -kritiker mit Studierenden als gleichberechtigte Jurymitglieder auf Augenhöhe miteinander diskutierten. In diesem Sinne fördere der Preis nicht nur die Autorinnen und Autoren. Einmal mehr zeige sich die enge Bindung von Stadt und Universität gerade im Bereich der UNESCO-Literaturstadt-Aktivitäten.

Preisträgerin Sibylla Vričić Hausmann erinnerte in ihrer Dankesrede an die Frauen, die bereits in der Zeit von Clemens Brentano geschrieben haben, aber auch an die Widerstände, denen sie sich ausgesetzt sahen. Und endete mit den Worten: „Irgendwo zwischen Dichterin, echtem Menschen und Kunstfigur versuche ich also, gut zu schreiben und smart zu sein. Was mir bestimmt nicht immer gelingt. Über die Anerkennung meiner Bemühungen mit dem Clemens-Brentano-Preis freue ich mich sehr."

Hintergrund:

Die Preisträgerin: Sibylla Vričić Hausmann, geboren 1979 in Niedersachsen, schreibt Gedichte, Essays sowie Erzählungen und studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Sie engagiert sich für einen fairen und offenen Literaturbetrieb, der Menschen, die sich um andere kümmern, nicht benachteiligt. 2018 debütierte sie mit dem Lyrikband „3 FALTER“ (Poetenladen Verlag). Dieser wurde als „Bestes Lyrikdebüt“, „Lyrikempfehlung“ und mit dem Orphil-Debütpreis ausgezeichnet. 2022 folgte „meine Faust“ (kookbooks Verlag), auch dieser eine „Lyrikempfehlung“. Stipendien wurden ihr 2016 und 2020 von der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen zugesprochen, 2019 vom Literarischen Colloquium Berlin, 2021 von der Akademie der Künste, Berlin, und 2023 von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, München.

Der Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg wird seit 1993 jährlich im Wechsel in den Gattungen Lyrik, Erzählung, Essay und Roman an deutschsprachige Autorinnen und Autoren vergeben, die mit ihren Erstlingswerken bereits die Aufmerksamkeit der Kritiker und des Lesepublikums auf sich gelenkt haben. Deutschlandweit einmalig ist, dass die Jury nicht nur mit professionellen Literaturkritikerinnen und -kritikern, sondern auch mit Studierenden des Germanistischen Seminars der Universität Heidelberg besetzt ist.

Der aktuellen Brentano-Preis-Jury – die für den Turnus 2024 bis 2027 neu berufen worden ist – gehören als professionelle Jurymitglieder an: Mara Delius (Herausgeberin „Literarische Welt“), Hanne Knickmann (Kulturagentur Knickmann, Moderation), Christoph Schröder (Freier Kritiker, Autor und Dozent für Literaturkritik) sowie Miriam Zeh (Literatur-Redakteurin, Deutschlandfunk Kultur). Als studentische Jurymitglieder waren 2024 Nina Burkhardt, Linus Issig und Derwish Seydo beteiligt.

Die bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger: Yael Inokai, Hanna Engelmeier, Simon Sailer,
Levin Westermann, Gianna Molinari, Philipp Stadelmaier, Jan Snela, Thilo Krause, Saskia Hennig von Lange, Maximilian Probst, Philipp Schönthaler, Alexander Gumz, Wolfgang Herrndorf, Sven Hillenkamp, Andreas Stichmann, Felicia Zeller, Ann Cotten, Clemens Meyer, Stefan Weidner, Anna Katharina Hahn, Raphael Urweider, Andreas Maier, Doron Rabinovici, Sabine Peters, Hendrik Rost, Oswald Egger, Norbert Niemann, Benjamin Korn, Daniel Zahno, Jörg Schieke, Barbara Köhler, Gabriele Kögl und Günter Coufal.

Ergänzend: Infos zum Clemens-Brentano-Preis und zur UNESCO-Literaturstadt Heidelberg unter www.heidelberg.de/kulturamt und www.heidelberg.de/cityofliterature.

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